An Hitlers Kunstgeschmack gescheitert: Emil Nolde in Frankfurt
Wütend schäumt die smaragdgrüne Welle auf, darüber drohend eine dunkelrote Wolke. Emil Nolde hat den „Brecher“ 1936 meisterlich in Öl auf Leinwand inszeniert, wenige Jahre vor seinem Berufsverbot.Das Gemälde, eine Leihgabe der Nationalgalerie, hängt bei Angela Merkel im Kanzleramt, sie hat es sich ausgesucht. Als verfemter Künstler wird Nolde seit Ende des Zweiten Weltkrieges bedauert und verehrt. Zur Legendenbildung trug er selbst bei, etwa indem er antisemitische Passagen aus seinen Memoiren strich.
Nolde, der Maler, ist einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts. Nolde, der Mensch, sympathisierte mit den Nationalsozialisten und ihrem Führer. Beide Perspektiven nimmt eine Schau im Frankfurter Städel Museum mit erfrischend unverklärtem Blick ein. Die erste Retrospektive in Deutschland seit 25 Jahren verarbeitet neue Erkenntnisse der Forschung zu Noldes künstlerischer Entwicklung, zu seiner Geschäftstätigkeit, zu seiner Rolle im Nationalsozialismus. Ein Bild im Katalog zeigt Merkel im Gespräch mit US-Außenminister John Kerry vor dem „Brecher“.
Auch Ex-Kanzler Helmut Schmidt ließ sich von Noldes glühenden Leinwänden einnehmen, sein Bonner Büro nannte er zu Ehren des Künstlers „Nolde-Zimmer“. Über 140 Arbeiten sind in der Frankfurter Schau zu sehen, darunter 90 Gemälde. Einige wurden noch nie gezeigt. Etwa „Meer bei Alsen“ von 1910, für das Nolde mit groben Pinselstrichen ein beeindruckendes Farbkonzert auf die Leinwand zauberte. Oder das 1916 entstandene Bildnis seines Hundes „Fajo“, für das er klassische Kompositionsprinzipien des Porträts anwendete. Man könnte denken, es sei von Georg Baselitz oder Markus Lüpertz, so direkt und überraschend sei es, schwärmt Kurator Felix Krämer.
Als Expressionist hatte Nolde es im konservativen Umfeld des frühen 20. Jahrhunderts schwer. Den Durchbruch schaffte er mit Blumenbildern, ihre vor allem von Vincent van Gogh inspirierte Farbintensität sollte sein Markenzeichen werden. 1927, als er 60 Jahre alt war, feierte eine Ausstellungstournee mit über 400 Werken sein Lebenswerk. Die Kombination zweier Aspekte mache Noldes Werk so einzigartig, sagt Krämer: „Farbigkeit und Pinselduktus sind eindeutig modern, aber Noldes Kompositionen und Bildthemen zeigen, wie sehr er im 19. Jahrhundert verwurzelt war. Die Horizontlinie ist häufig analog zum goldenen Schnitt platziert. Es sind keine Autos oder Telegrafenmasten zu sehen, die Bauernhöfe sehen aus wie vor 200 Jahren.“
Wie ist das Werk eines Künstlers vor dem Hintergrund seiner politischen Überzeugung zu bewerten, wenn es selbst wie im Fall Nolde denkbar unpolitisch ist? Die Kunsthistoriker Aya Soika und Bernhard Fulda arbeiten derzeit an einer Studie zu Nolde und dem Nationalsozialismus. In ihrem Essay für den Katalog ist zu lesen, wie der Maler versuchte, sich als Nationalsozialist zu profilieren, wie er Kollegen denunzierte, wie er gegen Juden wetterte. Nachdem er 1933 bei einer Feier erstmals Adolf Hitler gesehen hatte, beschrieb er ihn als „gross u. edel in seinen Bestrebungen“, als „genialen Tatenmenschen“. Ein Jahr später unterzeichnete Nolde eine Ergebenheitsadresse, neben ihm schworen Persönlichkeiten wie der Maler Erich Heckel, der Komponist Wilhelm Furtwängler und der Architekt Ludwig Mies van der Rohe dem Führer ihre Gefolgschaft.
1.100 Werke Noldes wurden aus Museen konfisziert
Auf bizarre Weise ist Nolde eine tragische Figur: Er scheiterte an Hitlers persönlichem Kunstgeschmack. Der Führer lehnte die Werke der Avantgarde als „unarisch“ ab. Ranghohe Nazis setzten sich für den Expressionismus ein, er hätte zur deutschen Staatskunst werden können. Darauf hoffte auch Nolde, der ab 1933 sogar auf kritisch beäugte Südseemotive und religiöse Figurendarstellungen verzichtete, sich auf scheinbar unverfängliche Landschaften konzentrierte. Joseph Goebbels und Hermann Göring waren Nolde-Fans. Doch als sich 1937 Hitlers Kunstpolitik radikalisierte, wurden 1.100 Werke Noldes aus Museen konfisziert, so viele wie von keinem anderen Künstler. Mehrere wurden in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ vorgeführt, darunter auch der neunteilige Bildzyklus „Das Leben Christi“. In Frankfurt gehört er zu den Höhepunkten der Schau: Nolde brach mit Darstellungsmustern religiöser Kunst, vereinfachte die Formen, trug leuchtende Farben auf.
Die Diffamierung seiner Person empfinde er als besonders hart, schrieb Nolde 1938 an Goebbels, weil er „vor Beginn der Nationalsozialistischen Bewegung als fast einzigster deutscher Künstler gegen die Überfremdung der deutschen Kunst gekämpft“ habe. Tatsächlich hatte er sich etwa mit dem jüdischen Künstler und Präsidenten der Berliner Secession Max Liebermann angelegt, allerdings nachdem die Secession eines seiner Bilder abgelehnt hatte. Nach Kriegsende stellte er einen Antrag auf Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, der mit Verweis auf seine Mitgliedschaft in der NSDAP abgelehnt wurde.
Nolde malte immer weiter, trotz des 1940 gegen ihn verhängten Berufsverbots verkaufte er auch, über 52.000 Reichsmark machte er im selben Jahr. In Frankfurt sind Gemälde aus dieser Zeit zu sehen, auch von grotesken Fantasiewesen bevölkerte Aquarelle, die auf den unbeugsamen Künstler Nolde schließen lassen. Zu seinen Händlern gehörte auch Hildebrandt Gurlitt, der die geächtete Kunst der Klassischen Moderne im Ausland und trotz Verbots auch im Reich weiter verkaufte. Nolde habe selbst immer das Klischee des Einsiedlers transportiert, der im Norden abgeschottet vor sich hin malt, sagt Krämer, sei aber sehr geschäftstüchtig gewesen: „Er hat sich intensiv mit seiner Preisgestaltung beschäftigt, aus Galerien durften nicht mehr als zwei Werke an einen Käufer gehen, US-Amerikaner zahlten höhere Preise.“
Noch seien viele Fragen offen, sagt Krämer, der Briefwechsel zwischen Nolde und seiner Frau Ada etwa sei bisher nicht publiziert worden. Seinem Freund und späteren Biografen Hans Fehr schrieb Nolde einmal: „Du kennst meine Neigung, gern zwischen dem Künstler und dem Menschen scheiden zu wollen. Der Künstler ist mir etwas wie eine Zugabe zum Menschen, und ich kann von ihm sprechen, wie von etwas anderem, als dem Selbst.“ Den Künstler vom Menschen Nolde zu unterscheiden, scheint der einzige Ausweg aus dem moralischen Dilemma zu sein.
Emil Nolde Retrospektive, Städel Museum, Frankfurt am Main, noch bis zum 15. Juni 2014
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