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War of Pictures 1945 – 1955. Pressefotografie und Bildkultur im befreiten/besetzten Österreich 12/2017, Camera Austria International

Der österreichische Wissenschaftsfonds (FWF) habe bislang selten Projekte gefördert, die sich einem Kapitel der Geschichte nach 1945 widmeten, sagte Oliver Rathkolb bei der Tagung des 2014 aufgenommenen Forschungsprojekts »War of Pictures. Press Photography in Austria 1945 – 1955«, eine Kooperation des von ihm geleiteten Instituts für Zeitgeschichte und des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Die Initiatorinnen Marion Krammer und Margarethe Szeless erforschten dafür erstmals systematisch das in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrte United States Information Service (USIS)-Archiv, seit 2016 Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes und herausragende Quelle für die zur Besatzungszeit Österreichs 1945 bis 1955 verbreiteten hegemonialen Bilderzählungen. In Zusammenschau mit in den National Archives in Washington D. C. gesichteten Dokumenten hätten sich die 22 000 Negative als »archivarischer Glücksfall« erwiesen. Darüber hinaus erhoben Krammer und Szeless Daten in den fünf auflagenstärksten Nachkriegsillustrierten, in denen sich die Bildpolitiken der Alliierten manifestierten – ein Gefecht von Propaganda und Gegenpropaganda, buchstäblich ein Krieg der Bilder.

Im Rahmen des Marshall-Plans stellte die US-Regierung ein beachtliches Budget für Propaganda zur Verfügung, ein großer Teil davon floss in die Bilderdienste. Der österreichische platzierte zehn Mal mehr Bilder in den Illustrierten als der britische oder der sowjetische, der Einfluss des französischen Bilderdienstes war verschwindend gering, und die Propaganda der Sowjets war zu stark zentralisiert und konstruiert, um in Österreich erfolgreich zu sein. »Hans […] wir drücken die Daumen auch für das Hunter College, ich weiss, wie berühmt es ist, weil ich in der seligen Feature-Zeit mindestens fünf Artikel darüber verwurstet habe«,1 schrieb die spätere Fotografin Inge Morath in einem Brief an den Schriftsteller Hans Weigel. Für die Feature Section in Wien übersetzte und editierte sie von 1945 bis 1947 Reportagetexte. Zusammen mit der Pictorial Section und der Graphic Section versorgte diese Abteilung der Information Services Branch (ISB) die Illustrierten in den besetzten Gebieten mit Inhalten: Der Export amerikanischer Kultur, antikommunistische Kampagnen und die Unterstützung der Reorientation-Politik waren die wichtigsten Ziele.

»Photographs to the public mind represent the truth«,2 notierte Yoichi Okamoto, langjähriger Leiter der Pictorial Section in Wien, in einem Tätigkeitsbericht als oberstes Prinzip der Bildpropaganda. Er betreute die Bilderbeilage des von den US-Amerikanern ab 1945 herausgegebenen Wiener Kurier, während der Besatzung die meistgelesene Zeitung, persönlich und sorgte dafür, dass die Botschaften möglichst subtil verpackt wurden: »Propaganda is tried to be kept under an intelligent subtle basis on the theory that the Austrian public is tired of being hit over the head with the theme ›Good old uncle Sam is again giving you this‹.«3 Um österreichische Themen nach seinen Vorstellungen zu illustrieren, bildete er vor Ort Fotografen aus. Tonangebend dabei waren die akribisch geskripteten und nach detaillierten Briefings bebilderten Storys des US-Magazins Life, der meistgelesenen ausländischen Illustrierten in Österreich, die in der McCarthy-Ära zum Leitmedium antikommunistischer Propaganda wurde. Zu Okamotos Vorbildern zählten Edward Steichen, den er zu einem Vortrag nach Wien einlud, und Ansel Adams, den er in einem Brief um einen Abzug bat, um seinen österreichischen Schülern die Bedeutung herausragender Printqualität zu vermitteln.

Die gründliche Arbeit am Bild brachte in Deutschland und Österreich Ikonen hervor, die bis heute propagandistische Inhalte und daraus hervorgegangene Geschichtsschreibung illustrieren. Prominentes Beispiel ist die Kampagne zur Luftbrücke, die die Vorstellung evozierte, die Versorgung der Berliner Bevölkerung sei hauptsächlich durch die US-amerikanischen »Rosinenbomber« erfolgt, obwohl ein Großteil der Lebensmittel aus dem sowjetisch besetzten Umland kam. Auch die Heimkehrerbilder, wie die von Ernst Haas, dienten der Vermittlung unterschiedlicher Narrative, mit Zuspitzung des Konflikts mit den Sowjets forcierten die US-Amerikaner zunehmend die Ikone des Heimkehrers aus russischer Gefangenschaft als Opfer. Die (schon in der NS-Zeit erfundene) Trümmerfrau wurde als heldenhafte Aufbauhelferin und identitätsstiftende Ikone der Nachkriegszeit inszeniert, tatsächlich schleppten oft Nationalsozialistinnen Trümmer als Strafmaßnahme.

Dass der FWF bislang vor allem Projekte förderte, die sich mit der Zeit vor dem konstruierten Nullpunkt 1945 befassen, liegt insbesondere am Nachholbedarf in Bezug auf die erst mit der Waldheim-Affäre begonnene Aufarbeitung der NS-Zeit. Zu den interessantesten Ergebnissen des Projekts gehört aber gerade auch, wie die ISB die mit der Moskauer Deklaration von 1943 beschlossene Opferthese mit einer choreografierten Verdrängungspolitik forcierte. So zeigt eine Tafel, die kurz nach Kriegsende in einem Salzburger Schaufenster zu sehen war, Aufnahmen aus befreiten Konzentrationslagern, genannt sind allerdings nur solche auf deutschem Gebiet, Mauthausen etwa fehlt. Zu lesen ist: »Österreich ist frei vom Anschluss … frei vom Anschluss mit solchen Folgen«.

Während der Bilderkrieg in den Illustrierten subtiler ausgetragen wurde (die Pressefreiheit wurde 1945 unter der Bedingung wiedereingeführt, dass kein Zwist zwischen den Alliierten gesät würde), kam es in Ausstellungen und im öffentlichen Raum auf solchen Tafeln, Wandzeitungen und Plakaten zu einer deutlich agitatorischeren Konfrontation. Im USIS-Archiv finden sich auch Spionagebilder mit dem Hinweis »Not For Release«: Für den internen Gebrauch machten FotografInnen des Bilderdienstes unter Decknamen von Hollywood-Schauspielern Aufnahmen vom zivilen Widerstand gegen die Besatzung, etwa von Demonstrationen, auf einem Bild schreibt jemand »Ami Go Home« neben ein Marshall-Plan-Plakat.

Annette Vowinckel vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam forderte in ihrem Vortrag, die historische Bildforschung müsse unbedingt die Rolle der BildredakteurInnen berücksichtigen, bisher sei sie vor allem vom Bild selbst und der Praxis der FotografInnen ausgegangen. Silke Betscher von der Universität Bremen sprach über visuelle Narrative um den Kalten Krieg in deutschen Nachkriegsillustrierten. Am Beispiel der von den US-Amerikanern herausgegebenen Illustrierten Heute zeigte sie, wie sich aus dem Militärischen kommende Blickregime im Zivilen etablierten, etwa Luftaufnahmen, die den Blick des Fliegers im Bombenkrieg aufgreifen, ähnlich wie heute Drohnenkameras, oder wie die omnipräsenten New York-Bilder den zerstörten deutschen Stadtlandschaften ein Sehnsuchtsbild entgegensetzten und den Fortschritt der US-amerikanischen Kultur anpriesen.
Nadya Bair von der Yale University gab Einblicke in ihre Forschung zu den europäischen Magnum-Netzwerken und der Bedeutung der von diesen produzierten Bilder auf dem Kunstmarkt und dem Bildermarkt ab den 1960er Jahren, und gab zu bedenken, dass in der Mythologisierung der Magnum-FotografInnen als engagierte ZeugInnen der Geschichte der Marktaspekt vernachlässigt würde.

Die Bedeutung der marktwirtschaftlichen Verwertung für die Rezeption historischer Bilder kam bei der Tagung immer wieder zur Sprache. Agenturen, wie Associated Press oder das Bettmann-Archiv, kauften regelmäßig Konvolute auf (und zerstörten sie teils auch, AP etwa schredderte nach dem Vietnamkrieg große Mengen). Akkumulation und Zentralisation prägen die Bildwirtschaft weiterhin, erst 2016 erwarb die Visual China Group die weltweiten Bildrechte der US-amerikanischen Bildagentur Corbis, in der schon das Bettmann-Archiv aufgegangen war. In Kooperation mit Getty Images, die die Bilder außerhalb von China lizenziert, betreibt der Gigant nun eine am globalen Markt orientierte Politik der Produktion und Distribution.

Das Ende 2017 zum Abschluss kommende Projekt zeigt einmal mehr, wie essenziell die Auseinandersetzung mit den Produktions- und Distributionskontexten von Fotografie für eine kritische Bildforschung ist. Das machte auch Gerhard Paul im Keynote-Vortrag »War of Pictures. Eine Visual History des Krieges« deutlich, in dem er nachzeichnete, wie Bilder seit dem Pictorial Turn zum Mittel der Kriegsführung avancierten, Stichwort 9/11 und Irakkrieg. Die Erkenntnisse von Krammer und Szeless sind auch für die Bilderkriege der Gegenwart aufschlussreich und werfen weitere Fragen auf, etwa zum Narrativ der Opferthese, für deren Erforschung jetzt ein ergiebiger Datenkorpus zur Verfügung steht.

1 Marion Krammer und Margarethe Szeless, »Let’s hit the reorientation line every time we can!«, in: medien & zeit (Wien), 1/2017, 2017, S. 4–33, S. 7.

2/3 Ebd., S. 30.