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Bildpolitiken bei der 10. Berlin Biennale 09/2018, EIKON

Statt Bildern flimmern in Tony Cokes’ Videoarbeiten von Musik begleitete Texte über monochrome Fernsehschirme. In „Evil. 27: Selma“ (2011) reflektiert er über die fehlenden Bilder jener Aktionen der Afroamerikanerin Rosa Parks, die zum Busboykott von Montgomery führten und heute als Geburtsstunde der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gelten. Jene, die später den Boykott mittrugen, hätten ohne „visuelles Template“ auskommen müssen. Wichtige gesellschaftliche Transformationsprozesse, so die These, würden nicht von Bildbeweisen getragen. Vielleicht stelle gerade Nicht-Sichtbarkeit die revolutionärsten Sichtbarkeiten überhaupt her, schließt der Text. An die Stelle der Bilder und Beweise treten Erzählungen und Mythen, die zusammen ein alternatives politisches Narrativ formen, eines, das vor allem auf Vorstellungskraft basiert. Diese ist notwendig, um zu einer post-rassischen, post-patriarchalen, post-kolonialen Gesellschaft zu gelangen und um jenen „komplexen Subjektivitäten“ gerecht zu werden, denen Gabi Ngcobo und ihr kuratorisches Team die 10. Berlin Biennale widmen.

Lassen sich neue soziale und politische Lebenswelten auf Grundlage neuer Mythen herstellen, Mythen, die noch keine Bilder haben? Heba Y. Amin imaginiert in „Operation Sunken Sea (The Anti-Control Room)“ (2018) den durch Austrocknung des Mittelmeers und Verbindung Afrikas und Europas geschaffenen Superkoninent „Atlantropa“, als Antwort auf Klimawandel, unaufhaltsame geopolitische Verschiebungen und Widererwachen der faschistischen Ideologie. Zur Installation gehören mehrere Bildschirme, auf denen Männer sprechen, die das Machtgefüge im Mittelmeerraum lenkten und lenken, etwa Benito Mussolini oder Recep Tayyip Erdoğan. Mittendrin die Künstlerin selbst nebst fiktiver Flagge, als einzige Frau an das Publikum appellierend: Was wäre wenn wir die sogenannte „Flüchtlingskrise“ zum Anlass nähmen, die bestehende Ordnung zu erneuern anstatt sie zu restaurieren?

Visuelle Ordnungen durch eigene Repräsentationsmodi erschüttern und rassistische und sexualisierende Bildpolitiken bloßstellen – das bleiben relevante Strategien künstlerischer Praxis. Etwa bei Simone Leigh, die sich in Skulpturen und Videoarbeiten mit der Geschichte des Schwarzen Feminismus beschäftigt, wobei sie Wissen durch Storytelling produziert. Oder bei Liz Johnson Artur. Für ihr „Black Balloon Archive“ porträtiert sie seit 1991 People of Color in unterschiedlichen Kontexten, SchülerInnen, SportlerInnen, AktivistInnen der Nation of Islam genauso wie FriseurInnen. Auf verschiedenen Trägern gedruckt, etwa auf Leder oder gefundenen Buchseiten, und sämtliche Genres des fotografischen Porträts durchspielend, seziert Artur den Blick auf des rassifizierte, ethnische Andere von außen als Reproduktionen kolonialer Machtgefüge. Doch fragt diese Biennale auch, ob die Kritik an Repräsentationspolitiken neue Impulse braucht und welches Potenzial der Technologie Fotografie dabei überhaupt noch zukommt.

Özlem Altın beantwortet das, indem sie, wie auch für ihre Biennale-Produktion „Psyche (grow deep)“ 2018, gefundenes fotografisches Material von seiner repräsentativen Funktion nahezu befreit, es schichtet, beschneidet, collagiert, übermalt. Immer wieder treten Körper und Körperteile heraus, werden Diskurse um Subjektwerdung im Bild und im Blick auf das Bild, um libidinöse und affektive Ebenen des Bilderproduzierens und -rezipierens gestreift. Gewissermaßen schafft Altin wie Cokes dort eine Leerstelle, wo sonst Bilder sind, wie wir sie kennen, um Mythen zu produzieren und die Vorstellungskraft zu befüttern. Die Funktion von Bildern, zeigt diese Biennale einmal mehr, verschiebt sich immer weiter weg von der dokumentarisch-beweisenden hin zur einer politisch wie affektiv imaginierenden.