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Selfies von Nacktivistinnen 12/2013, Monopol Online

Jahrhundertelang malten nur Männer nackte Frauen. Doch es geht auch anders: Das Paula Modersohn-Becker Museum erzählt die junge Geschichte des weiblichen Selbstakts

Sie tragen Blumenkränze im Haar und schreiben politische Botschaften auf ihre nackten Oberkörper, um auf Straßen oder Fernsehbühnen zu protestieren. Bilder blanker Brüste der Aktivistinnen von Femen gingen dieses Jahr durch die Medien. Sie haben sich ein klassisches Sujet der Kunstgeschichte angeeignet: den weiblichen Akt. Dass ein Mann sie zum Ausziehen bewegt haben soll, ist der ironische Wendepunkt in ihrer kleinen Erfolgsgeschichte. Jahrhunderte lang malten nur Männer nackte Frauen.

1906 wagte Paula Modersohn-Becker einen radikalen Schritt, als sie sich selbst nackt malte, fast lebensgroß. Es war der erste weibliche Selbstakt der Kunstgeschichte. „Nacktivistin“ hätten Boulevardblätter Modersohn-Becker wohl genannt. Ihr „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ nimmt das Paula Modersohn-Becker Museum zum Anlass, die Geschichte des weiblichen Selbstaktes von der Initiierung bis heute zu erzählen. Modersohn-Becker malte sich in einer ganzen Reihe von Selbstakten mit Blumen im Haar und Früchten in den Händen.

Wie die Femen mythologisierte sie die weibliche Sexualität. In die Ausstellung haben die Femen es trotzdem nicht geschafft. 37 Positionen sind in Bremen versammelt, darunter die ebenfalls 1906 entstandene Arbeit „Self-Portrait“ von Imogen Cunningham. Die US-amerikanische Fotografin legte sich nackt in eine piktorialistische Szene mit Wiese und Wäldchen. Die Pose ist verspielt, die Haut strahlt. Cunninghams Selbstakt hat noch etwas Unbeschwertes. Ab den 60ern begannen Künstlerinnen, mit Pinsel, Kamera und Performance Empowerment zu betreiben. Sie bahnten sich den Weg in die Kunstgeschichte über die Aneignung des eigenen Körpers. Brüste und Schamlippen wurden zum Politikum.

Hannah Wilke lichtetete sich unter anderem für die Serie „I Object: Memoirs of a Sugargiver“ nackt ab. Sie liegt auf einem Felsen, umgeben von Jeans, Sandalen und Sonnencreme, im Zentrum des Bildes zieht ihre von Schamhaar bedeckte Vagina den Blick auf sich. Wilke bezieht sich auf eine Arbeit von Marcel Duchamp, der Betrachter einer entkleideten Puppe durch ein Guckloch in den Schritt schauen ließ. Für „Starification“ posiert Wilke wie ein Model in einer Modezeitschrift, nur kleine Geschwülste auf der Haut stören das perfekte Bild. Es sind aus Kaugummi geformte „Mösen“, Wilke fand die Metapher passend, das Durchkauen und Ausspucken entspräche dem Umgang mit der Frau, sagte sie.

Ana Mendieta ließ sich für die Videoarbeit „Ocean Bird Washup“ von seichten Meereswellen an den Strand spülen, an ihren nackten Körper hatte sie Federn geklebt. Wie viele Künstlerinnen seit Beginn des 20. Jahrhunderts verortete Mendieta eine neue Weiblichkeit im Spirituellen und Rituellen, suchte die Nähe zur Natur und konstruierte sie als Gegenmodel zur patriarchal durchstrukturierten Kultur. Mary Beth Edelson inszenierte sich für „Kali Returns the Gaze“ als Hindu-Göttin. Sie übermalte eine Fotografie, die sie entblößt im Sand hockend zeigt. Ihr Gesicht versah sie mit einer archaischen Maske und ihre Brüste mit einem Auge, auf dem eine doppelte Iris dem männlichen Blick begegnet.

Maria Lassnig porträtierte sich im großformatigen Selbstbildnis „Zweifel“ mit schlaffen Brüsten in „Fleischdeckenfarben“ gehalten, wie sie sagte. Die alternde Künstlerin sucht die Konfrontation: Aus einem bläulich-grünlichen Gesicht, das vielmehr Fratze ist, starrt sie den Betrachter an. Jenny Saville presste ihren Körper für „Closed Contact“ gegen eine Glasscheibe. Brust und Bauch werden auf knapp vier Quadratmetern zur nahezu abstrakten Masse, das Zurschaustellen vor der Kamera zum grotesken, schmerzhaften Akt.

Nur eine Künstlerin zieht sich nicht aus. Die 1976 geborene Stefanie Trojan lässt sich in ihrer Performance „Ankleiden 2/To dress 2“ Kleidungsstücke über den nackten Körper streifen, während sie regungslos neben einer vollen Kleiderstange steht. Auf der ist allerdings kein Unterteil zu finden, die Besucher müssen improvisieren. Die filmische Dokumentation läuft gleich neben Yoko Onos „Cut Piece“, bei der Ono auf einer Bühne saß und sich die Kleider vom Leib schneiden ließ. 40 Jahre liegen zwischen den Performances, die wie Gegenstücke wirken und doch ein Ziel haben: kulturelle Muster dekonstruieren.

In einem Essay in der November-Ausgabe von Monopol fragte Silke Hohmann danach, wie lange es sich die Kunstwelt noch leisten könne, ihre weibliche Hälfte zu diskriminieren. Es sieht ganz so aus, als müssten Künstlerinnen das aussitzen. Wenn es sein muss, nackt.