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Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot im Kunsthaus Graz 03/2016, Springerin

Bunte, hautfarbene und schwarze Wasserbälle sind prall mit Luft gefüllt und in biedere, ebenfalls hautfarbene Mieder eingespannt, die wiederum durch Druckknöpfe im Schritt miteinander verknüpft sind. In der Mitte von Kateřina Vincourovás „From Inside Out“ (2016) klafft ein Loch, auf das BesucherInnen förmlich zufahren, wenn sie über einen langen Travelator in die obere Ausstellungsebene des Kunsthauses Graz kommen. Offenkundig setzt sich die 1968 geborene Tschechin hier mit dem weiblichen Körper auseinander, lassen doch die Bälle unter den Miedern an schwangere Bäuche und die Öffnung in der Mitte der Skulptur zwischen wie gespreizte Schenkel wirkenden Miedersträngen an Gustave Courbets Gemälde „L’Origine du monde“ (1866) denken. Mit einer entblößten Vagina zwischen lasziv geöffneten Beinen in seiner Bildmitte thematisierte das Skandalgemälde, das der Psychoanalytiker Jacques Lacan später erwarb, Begierde und Geburt, natürlich in klassischer Rollenverteilung: die Frau als das Modell-Objekt und der Mann als Künstler-Subjekt.

Vincourovás Skulptur setzt den Ton für eine Schau, die mit drei weiblichen, in Psychoanalyse und Surrealismus inspirierten Positionen um den Körper kreist und den Fetisch zum Ausgangspunkt des kuratorischen Konzepts macht. Vieles wird in den Arbeiten symbolisch gesetzt, aber ein Teil bleibt rätselhaft, so wie die weibliche Sexualität für Sigmund Freud, die für ihn immer der viel zitierte „dunkle Kontinent“ blieb. Weiblichkeit konnte Freud nur aus einer Defizitvorstellung heraus denken, baut seine Theorie des Fetischs doch auf der Kastrationsangst auf, die sich im Schock des Jungen beim Blick auf das weibliche Genital begründet, wo er eben keinen Penis entdeckt, und sich beim Mädchen als Penisneid ausprägt. Freud befütterte ein patriarchales Narrativ, das nicht nur die Gesellschaft im Großen, sondern auch die Kunstgeschichte immer wieder reproduzieren.

So ist es auch eine Stärke der Ausstellung, neben Vincourová und dem 1978 in Paris geborenen Jungstar Camille Henrot Arbeiten von Alina Szapocznikow zu zeigen. Sie wurde 1926 in Polen geborenen, lebte lange im französischen Exil und starb bereits 1973 an Brustkrebs. Trotz großer Erfolge zu Lebzeiten musste sie in der westlichen Kunstwelt vor einigen Jahren erst wiederentdeckt werden. Es mag Zufall oder Vorahnung sein, dass ihr „Fajrant (Fin d’un journeé de travail)“ von 1971, ein Gummihandschuh und ein Pinsel in Polyesterharz erstarrt, quasi als Selbstporträt der Künstlerin in Abwesenheit, schon das Vergessen antizipiert. Szapocznikow geht es in dieser Arbeit um eben diese Abwesenheit des Körpers, wie auch der 1968 geborenen Tschechin Vincourová, wenn sie für ihre Assemblagen und Skulpturen mit dem Körper (und dem Fetisch) assoziierte Objekte, wie Kleiderbügel oder Kämme, verarbeitet und sich so auf ihn bezieht, ohne ihn zu zeigen. Diese Abwesenheit des Körpers kann durchaus als Form des Protests gelesen werden.

In Szapocznikows Objekten hinterlässt der weibliche Körper Spuren, etwa in ihren „Lampe-bouche (Illuminated Lips)“ (1966), auf Lampenfüßen stehenden, von innen beleuchteten Mündern, für die sie ihre eigenen Lippen und die der Schauspielerin Julie Christie abformte. Was formal Sinnlichkeit vorgibt, wird qua Material (Polyester) ad absurdum geführt. Polyester kommt auch für ihre „Lamp III (Fetish IX)“ (1970) zum Einsatz, in der sie eine vom Körper losgelöste Brust mit bonbonroter Brustwarze in ein Schlangenhaut-Imitat hüllt, eine Arbeit, die auch als Kommentar auf eine misogyne Weltordnung gelesen werden kann, fungiert doch der Fetisch bei Freud immer als Ersatz für den verloren geglaubten Penis und lässt sich Subjektwerdung nur aus männlicher Perspektive denken. In „Duza Duza (Grand Beach)“ (1968) taucht der vermisste Penis in Form einer schwarzen Insel mit phallischen Noppen wieder auf, die umgeben sind von weiblichen Torsi. Auch Vincourová hat einen „Torso“ (2010/11) geschaffen, konstruiert aus organisch geformten Holzsprossen, Kurzwaren-Gummibändern und roséfarbenem Tüllstoff. Ohne Gliedmaßen und denkenden Kopf wird der weibliche Körper bildlich um seine Agency gebracht.

Richtet sich die Begierde in xenophiler Manier auf das Fremde, geht der Fetisch in Exotismus auf. Mit diesem setzt sich Camille Henrot in ihrem Werk gründlich auseinander. In dem elfminütigen Film „Le Songe de Poliphile (The Strive of Love in a Dream)“ (2011) kreiert sie einen tranceartigen Reflexionsraum. Per Parallelmontage verarbeitet sie Aufnahmen aus einer Pharmafabrik, in der ein Medikament namens Atarax hergestellt wird, einer Schlange mit Plastikeimer, eines Schamanen, ritueller Massenveranstaltungen in Indien sowie Schlangenbilder aus Comics und auf kunsthistorischen Objekten – unterlegt mit treibendem Noise und forciert durch ein sich dynamisch steigerndes Schnitttempo. Aratax wird zur Behandlung von Angstzuständen eingesetzt. Wenn sich bei Henrot die phallische Schlange durch die filmische Angststudie züngelt, dann evoziert auch sie den Penisneid und die Kastrationsangst. Und Szapocznikow beißt selbst zu, wenn sie im Mund ihre Kaugummi-Skulpturen formt, die sie – mit deutlichen Zahnspuren – dann fotografisch in ihren „Fotozezby (Photosculptures)“ (1971/72) fixiert.

Im architektonischen Kontext des futuristisch-postmodernen Kunsthauses wirkt die Schau mit ihren zum Teil auf Sockeln präsentierten Objekten ein wenig wie eine archäologische Sammlung von Fetisch-Objekten in einem Museum der fernen Zukunft. In diese Vorstellung fügt sich auch Camille Henrots Serie „Collections Préhistorique“ (2013), für die sie gefundene Erotikfotografien mit Bildern prähistorischer Objekte und von auf eBay ersteigerten „neuzeitlichen“ Alltagsobjekten wie Nägeln collagiert. Darin tauchen auch die „Femme au bain de soleil et dents d’hippopotame“ auf, eine Frau beim Sonnenbaden nebst Nilpferdzähnen. Der weibliche Körper und die kastrierenden Zähne werden direkt in Beziehung zueinander gesetzt und das Nilpferd fungiert als Symbol für die weibliche Urkraft. So schließt sich der Kreis hin zu Vincourovás „From Inside Out“ im Eingangsbereich und der dunkle Kontinent kann nach der tiefenpsychologischen Reise durch ein Stück Kunstgeschichte über den Travelator wieder verlassen werden.

Bittersüße Transformation: Alina Szapocznikow, Kateřina Vincourová und Camille Henrot. Kunsthaus Graz, 26. 5. – 28. 8. 2016