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Kunst funktioniert heute transnational 06/2013, Zeit Online

Der Filmemacher Romuald Karmakar repräsentiert Deutschland auf der Biennale in Venedig. Im Interview spricht er über nationale Identitäten und erzählt wie es war, Neonazis zu filmen.

ZEIT ONLINE: Herr Karmakar, Ihre Filme zeigen Sie sonst im Kino oder bei Festivals. Was ist hier anders, im deutschen Pavillon auf der Biennale?

Romuald Karmakar: Hier wurde für fast alle Filmarbeiten eine dunkle Box gebaut. Das ist wie schlechtes Kino. Mir war wichtig, dass mein Raum hell bleibt und man alle Arbeiten im Blick hat. Die Kuratorin Susanne Gaensheimer wollte von Anfang an die Hamburger Lektionen zeigen, meine Dokumentation über einen islamistischen Prediger in Hamburg. Der Film hat schon eine Karriere im Kino hinter sich. Ich dachte, der 8. Mai, Filmdokumente einer öffentlichen NPD-Versammlung aus dem Jahr 2005, würde gut dazu passen. Zusammen mit Anticipation, Aufnahmen des nahenden Hurrikans Sandy, entsteht ein Dreieck der Sichtachsen. Und durch den offenen Eingang sieht man die Installation von Ai Weiwei. So entsteht eine ganz neue Erzählung, die sich deutlich von der im Kino unterscheidet.

ZEIT ONLINE: Ihre Arbeit 8. Mai präsentieren Sie in Venedig zum ersten Mal, zu einer Zeit, in der sich Deutschland wegen der NSU-Morde intensiv mit der rechtsradikalen Szene auseinandersetzt. Haben sie die Bilder demonstrierender Neonazis bewusst ausgestellt, um diese Seite Deutschlands zu zeigen und zu irritieren?

Karmakar: Ich lebe in Deutschland und beschäftige mich einfach mit dem, was hier los ist. Am 8. Mai 2005 haben alle 60 Jahre Kriegsende und die Befreiung von den Nationalsozialisten gefeiert. Die NPD hat am Alexanderplatz diese Gegenveranstaltung organisiert. Ich wollte wissen, was dort passiert und was dort gesagt wird. Ob deutsche Zuschauer davon irritiert waren, weiß ich nicht. Die französische Kulturministerin soll jedenfalls ziemlich schockiert gewesen sein, als sie die Aufnahmen gesehen hat.

ZEIT ONLINE: Wie war das, inmitten einer Gruppe Neonazis zu filmen?

Karmakar: Ein paar Jahre zuvor wollte ich schon mal einen Nazi-Aufmarsch filmen, da hatte man mir aber ziemlich schnell zu verstehen gegeben, dass ich die Kamera ausmachen soll. Am 8. Mai war das anders. Es war ja eine öffentliche Versammlung. Ziel der Veranstalter war es explizit, ein diszipliniertes Bild von sich zu vermitteln. Das war die Nische, in die ich schlüpfen konnte. Ich als Teil der Weltöffentlichkeit – so haben sie das auch genannt – durfte „anständige Bilder“ von Neonazis machen. Als ich sie nach der Kundgebung im S-Bahnhof gefilmt habe, ging das nur noch hinter der Polizei.

ZEIT ONLINE: Die Kuratorin des deutschen Pavillons, Susanne Gaensheimer, hat  viele internationale Künstler eingeladen und proklamiert damit ein Ende des Nationaldenkens. Teilen Sie diese Ansicht?

Karmakar: Man kann das aus ganz verschiedenen Perspektiven betrachten. Vergegenwärtigt man sich, welche Bedeutung die Medaillenspiegel letztes Jahr bei den Olympischen Sommerspielen für die Länder hatten, war das schon extrem. Im Vorfeld wurde viel Geld investiert, damit so viele Medaillen wie möglich herausspringen. So etwas finde ich nicht gut. Es werden längst transnationale Narrative entworfen und praktiziert, es ist wichtig, sie zu stärken. Gerade Kunst funktioniert heute transnational – viel transnationaler als Film.

ZEIT ONLINE: Hier bei der Biennale stehen aber nationale Präsentationen im Mittelpunkt.

Karmakar: Das sind Relikte der alten Olympia-Idee. Es gibt offensichtlich immer noch das Bedürfnis, diesen nationalen Wettbewerb aufrecht zu erhalten. Der Politikwissenschaftler Gilles Kepel hat bei einem Panel hier gesagt, dass Ai Weiwei gerade deswegen interessant sei, weil er etwas über die chinesische Gesellschaft erzähle und nicht aus einer transnationalen Perspektive heraus Kunst mache. Gleichzeitig stellt Ai Weiwei aber hier für Deutschland aus und wäre vielleicht froh, wenn er in Berlin leben könnte. So entstehen neue Verbindungen.

ZEIT ONLINE: In der Vorberichterstattung zur Biennale wurde diskutiert, was es bedeutet, dass keine deutschen Künstler im Pavillon ausstellen, sondern ein Chinese, ein Südafrikaner, eine Inderin und Sie. Sie haben zwar einen französischen Pass und unterschiedliche nationale Wurzeln, haben aber immer in Deutschland gelebt und gearbeitet. Wie war das für Sie?

Karmakar: Selbst Susanne Gaensheimer wusste anfangs nicht, dass ich einen französischen Pass habe. Wir kennen uns schon lange, für sie war ich einfach ein deutscher Künstler. Ich bin in Deutschland geboren, meine Filme sind alle in deutscher Sprache, auch im Ausland werde ich als Deutscher wahrgenommen. Als bekannt gegeben wurde, wer die deutsche Ausstellung bespielen wird, wurde ich als Künstler aus Deutschland richtiggehend ausgeschlossen. Manche Zeitungen haben das sehr extrem gemacht. Für mich persönlich spielt das aber keine Rolle. Gerade lebe ich in Massachusetts, ich habe das alles von dort aus mitbekommen und konnte zum Glück darüber lachen.

ZEIT ONLINE: Was machen Sie dort?

Karmakar: Ich habe für ein Jahr eine Fellowship an der Harvard University. Dort arbeite ich gerade an einem Drehbuch zur Biografie von Walter Rauff. Er hat im Dritten Reich an der Entwicklung der mobilen Gaswagen mitgearbeitet, war dann im Reichssicherheitshauptamt und ist nach dem Krieg nach Ecuador und später nach Chile geflohen, wo er auch starb. Anfang der 1960er Jahre wurde ein Auslieferungsantrag der Staatsanwaltschaft Hannover abgelehnt. Aus Rauffs Biografie will ich einen Spielfilm machen.

ZEIT ONLINE: Viele Ihrer bisherigen dokumentarischen Arbeiten wirken so, als würden Sie soziologische Forschung mit der Kamera betreiben.

Karmakar: Ich würde das eher ethnografisch nennen. Beim ethnografischen Film denkt man sofort an weiße Filmemacher in Afrika. Aber Ethnografie kann natürlich auch in der eigenen Gesellschaft stattfinden. Ich gehöre sozusagen zu den Ethnografen in der Heimat. Das machen andere Dokumentarfilmer in ihren Ländern ja auch, Frederick Wiseman zum Beispiel, der die US-amerikanische Gesellschaft filmisch untersucht.