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Dein Körper bleibt ein Schlachtfeld 03/2021, TAZ

Gerade erst hat Polen die größten Proteste seit 1989 erlebt. Nun wird schon die nächste Welle erwartet: für den internationalen Frauentag am 8. März. Der Strajk Kobiet (Frauenstreik) stellt sich gegen das verschärfte Abtreibungsverbot auf. Einen Embryo müssen polnische Frauen seit Januar selbst dann austragen, wenn er schwere Fehlbildungen aufweist. Das ist eine Kampfansage, wie sie auch die US-amerikanische Künstlerin Barbara Kruger im Sinn hatte, als sie 1989 ihre berühmteste Arbeit schuf: Das Foto einer Frau, zur Hälfte als Positiv, zur anderen als Negativ, darüber in großen Lettern der Slogan: „Dein Körper ist ein Schlachtfeld.“ Damals demonstrierten in den USA zahlreiche Frauen für ihr Recht auf Abtreibung. Seit Dezember hängt das Plakat – ins Polnische übersetzt – in polnischen Straßen.

„Dass Barbara Krugers ikonisches Kunstwerk plötzlich ein Publikum außerhalb der Kunstkreise erreicht, ist kein Zufall“, sagt Natalia Sielewicz, Kuratorin am Museum für Moderne Kunst in Warschau. „Wir brauchen jetzt starke visuelle Zeichen, die die Gesellschaft mobilisieren.“ Ein solches ist auch der rote Blitz der Illustratorin Ola Jasionowska, der überall in der Menge auf Plakaten und Atemschutzmasken auftaucht und zum Symbol der Pro-Choice-Bewegung geworden ist. Man sieht, dass sich die Kunst mit der Bewegung verschwestert hat. Selbst Warschauer Galerien machen mit: als Werkstätten für Transparente.

Polnische Künstler*innen reagierten schon 2016, als bei den „schwarzen Protesten“ zehntausende schwarz gekleidete Menschen gegen die angekündigte Verschärfung des Abtreibungsgesetzes auf die Straße gingen. Iwana Damko schuf daraufhin eine Fotocollage, die sie auf dem Krakauer Hauptplatz zeigt. Sie hebt ihren Rock und enthüllt eine grafisch stilisierte schwarze Vulva. Feministische Protestkunst findet heute vor allem im Internet statt – dort ist sie freier. Zofia Krawiec launchte 2016 den Instagram-Account „Neurotic Girl“, auf dem sie sexpositive Selfies postet und dazwischen politische Botschaften streut. Anna Wiatrowska teilt auf dem Instagram-Account „queerowyfeminizm“ regenbogenfarbene Memes, die Victim Blaming, Queerphobie oder das katholische Narrativ um Jungfräulichkeit kritisieren.

In der feministischen Kunst geht es genauso wie im feministischen Protest vor allem um den weiblichen Körper: um das Wiedererlangen der Deutungs- und Gewalthoheit über diesen in einem repressiven patriarchalen Umfeld. Ihre Machtposition will die männliche Führungsriege in Polen aber nicht aufgeben. Jarosław Kaczyński wiegelt Neofaschist*innen auf, Milizen gegen die friedliche Allianz des Strajk Kobiet zu formieren – die Kirchen müssten verteidigt werden, so der Chef der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Der Rechtsextreme Robert Bąkiewicz organisiert schon eine Nationalgarde. Und gegen die feministische Kunst agitiert neben einem Block katholischer Hardliner auch die nationalkonservative Kulturpolitik unter PiS-Minister Piotr Gliński.

Erst 2019 wurden aus der Dauerausstellung des Nationalmuseums in Warschau Werke international bekannter Künstlerinnen entfernt. Die Arbeit „Consumer Art“ von Natalia LL aus dem Jahr 1972 zeigt sie beim Verzehr einer Banane. In dem 2005 entstandenen Video „Appearance as Lou Salomé“ dressiert Katarzyna Kozyra als Domina mit schwarzer Lederpeitsche zwei als Hunde verkleidete Darsteller, die Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke verkörpern. Der Zeitung Gazeta Wyborcza sagte Museumsdirektor Jerzy Miziołek, Themen wie Gender gehörten nicht ins Nationalmuseum.

Der Kampf auf den Straßen wird härter. Der in den Museen auch. Im Januar nahm der ultrakonservative Kurator Piotr Bernatowicz seine Arbeit als neuer Direktor des Zentrums für zeitgenössische Kunst Schloss Ujazdowski (CCA) in Warschau auf, eine der wichtigsten Institutionen im Land. In einer Galerie in Poznań hatte er zuvor homophobe und antifeministische Positionen gezeigt. Die Künstlerin Agnieszka Polska reagierte auf Bernatowiczs Besetzung mit einem Artikel im Kunstmagazin Frieze: Nach Jahren der bewussten Demontage von Theater- und Filminstitutionen in Polen sei nun auch für die Kunst die Zeit gekommen, schrieb sie.

Barbara Kruger hatte 1991 schon einmal die polnische Version ihrer Arbeit gezeigt, im Rahmen einer Ausstellung beim CCA. Sie reagierte damit auf Diskussionen zu einer ersten Verschärfung des Abtreibungsverbots im jungen post-kommunistischen Polen. 1993 trat sie in Kraft. Katarzyna Kozyra war damals unterwegs, um Unterschriften dagegen zu sammeln. „Ich wollte allen klar machen, dass das nicht zusammenpasst: eine neue Ära der Freiheit auf der einen Seite, die zunehmende Unterdrückung der Frauen auf der anderen.“ Auf Verständnis sei sie damals nicht gestoßen.

Ziel einer repressiven Politik und katholischer Fundamentalist*innen wurde schon damals auch die feministische Kunst. Dann, wenn sie den Körper der Frau in Beziehung zur Kirche setzte, und erst recht, wenn sie das Blickregime pervertierte, indem sie den nackten Männerkörper zu ihrem Sujet machte. Für ihre Arbeit „Blutsbande“ posierte Kozyra nackt vor einem roten Kreuz. 1999, im selben Jahr, als sie Polen bei der Venedig Biennale vertrat, hingen die Plakate in den Straßen mehrerer polnischer Städte, wurden attackiert, übersprüht und überklebt.

Zofia Kulik zeigte 1997 bei der documenta ihr Selbstporträt „The Splendour if Myself (II)“. Auf der Fotocollage ist links von ihrem Gesicht eine Sichel zu sehen, rechts daneben ein Kreuz – auf der einen Seite ein Symbol für den Staatskommunismus, der nur ein linientreues Emanzipationsnarrativ zuließ, und auf der anderen der misogyne Katholizismus, der nun Einzug ins Leben der Frauen hielt. 1999 ließ Direktor Konstanty Kalionowski im Nationalmuseum in Poznań eine Arbeit Kuliks abhängen. Die Fotos männlicher Statuen aus der St. Petersburger Eremitage fokussierten auf deren Genitalien. Männerakte kommen auch auf Kuliks Selbstporträt vor. „Sie nehmen symbolische Posen von Kriegern oder politischen Figuren, wie Mao oder Lenin, ein, von Führern an der Spitze der patriarchalen Pyramide,“ sagt Kulik. „Ohne Uniform und Embleme wird ihre Schwäche enthüllt.“

Der wohl spektakulärste Fall von Zensur traf Dorota Nieznalska. Anfang der 2000er Jahre nahmen katholische Fundamentalist*innen Anstoß an ihrer Installation „Passion“: In einem griechischen Kreuz zeigte sie ein Foto männlicher Genitalien, dazu die Video-Nahaufnahme des Gesichts eines Mannes beim Training in einem Fitnessstudio. Es folgte ein Gerichtsprozess, in dem die Künstlerin wegen Verletzung religiöser Gefühle zu sechs Monaten Freiheitsentzug und gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde.

Während sich in den 1990er Jahren noch wenig Protest regte, ist heute fest mit dem feministisch-queeren Widerstand zu rechnen. So musste das Nationalmuseum in Warschau nach Protesten – mit öffentlichem Bananen-Verzehr – die zensierten Werke von Natalia LL und Katarzyna Kozyra zumindest temporär wieder aus dem Depot holen. Von politischer Seite aber bliebe jeder Rückenwind für die Frauen aus, sagt Kozyra. „Auch klare Worte aus Deutschland oder Europa wären wichtig für uns, aber auch da: Schweigen.“

Zofia Kulik, die 2016 noch selbst mitlief, freut sich über den erwachten politischen Geist der jungen Generation. Nun hofft sie auf Veränderung: „Wie in Weißrussland bilden in Polen vor allem Frauen die Opposition, auch wenn sie noch fragil ist. Wir werden in die Ecke getrieben, eine Revolution scheint der einzige Ausweg zu sein.“ Das probate Mittel, findet Kozyra, könne allerdings nur ein echter Streik sein: „Demonstrationen sind wichtig, aber eine Revolution wird erst einsetzen, wenn alle Frauen geschlossen die Arbeit niederlegen.“

Die Bewegung fordert längst mehr als das Recht auf Abtreibung: die klare Trennung von Staat und Kirche, mehr Gelder für das Gesundheitswesen, mehr LGBTQIA+-Rechte. Dafür setzen sich die Aktivist*innen auf den Straßen der Polizeigewalt und der Bedrohung durch militante Gruppen aus. Der Körper als Schlachtfeld ist unheimlich real geworden. Das zeigen auch Fotografien der Proteste, die das von Künstler*innen ins Leben gerufene Projekt „Archive of Public Protests“ (APP) auf einer eigenen Webseite versammelt. Für Natalia Sielewicz ist das eine der wichtigsten Initiativen: „Diese Fotos zeigen reale Menschen in realen Situationen und bringen uns zurück zum Körper, der da draußen marschiert, weint, lacht, singt und schreit.“


Drei Frauen bei den Pro-Choice-Protesten 2020. Foto: Bartek Sadowski / Archive of Public Protests (APP)