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Wieso Pluto? 02/2013, Transmediale-Blog

Kristoffer Gansing, Künstlerischer Leiter der transmediale, über Identitätskrisen, freie Information im Netz und darüber, warum Comics kritischer Medienkunst gut tun

SW: 2006 wurde Pluto der Planetenstatus aberkannt. BWPWAP (Back When Pluto Was A Planet), eine Losung, die seitdem im Netz kursiert, ist Leitmotiv der transmediale 2013. Warum?

KG: In der Medienkunst wurden schon immer Dinge in Frage gestellt, die als selbstverständlich gelten. Diese transmediale nutzt das Label BWPWAP, um Vertrautes zu hinterfragen, zum Beispiel Technologien oder soziale Netzwerke, die heute ganz selbstverständlich zum Alltag gehören, vor ein paar Jahren aber kaum verbreitet waren. Mit dem Blick in die Vergangenheit suchen wir Inspiration für die Zukunft, um herauszufinden, wohin wir Entwicklungen wie die von sozialen Netzwerken lenken wollen.

SW: Die Vorstellung von Identität verändert sich in der zeitgenössischen digitalen Kultur radikal. Ist das auch über Pluto hinaus Thema bei der transmediale?

KG: Wir haben das Programm dieses Mal in Themenstränge unterteilt. Einer davon heißt „Desire“ und befasst sich unter anderem mit Gender-Identitäten, ein anderer blickt auf Netzwerke. Soziale Netzwerk-Dienste bieten bestimmte Funktionen, etwa den „Gefällt-mir“-Button, die Teil unserer Identität werden. Sich verändernde Bezeichnungen und Definitionen deuten auf Identitätskrisen hin, die wir kreativ nutzen können. Die transmediale will solche Potenziale aufdecken.

SW: Unter dem Schlagwort Post-Privacy beschwören kritische Stimmen das Ende des Privaten in der digitalen Kultur herauf, viele Künstler entwickeln Positionen dazu. Sind auch welche bei der transmediale vertreten?

KG: In der kanadischen Botschaft zeigen wir eine Ausstellung zu Jennifer Chan. Sie kreiert grell-bunte visuelle Mixtapes aus Bildern, Logos und Webseiten, die sie im Netz findet. Ihre Arbeiten kommentieren die User-Kultur mit einer Mischung aus Faszination und  Ekel. Sie thematisieren auch Privatsphäre und Identität, denn Chan muss sich als Künstlerin und private Userin dieser Systeme in ihrem Werk verorten.

SW: Und wie denkst Du persönlich darüber?

KG: Mich findet man in vielen sozialen Netzwerken gar nicht, ich habe auch nicht das Gefühl, dass es keine Privatsphäre mehr gibt. In der Diskussion wird nicht reflektiert zwischen privatem Raum und Öffentlichkeit unterschieden. Die Frage ist nicht, ob man sich jetzt öffentlich inszeniert oder nicht. Wir haben heute multiple Persönlichkeiten, und nicht jede muss unbedingt eine „post-private“ sein.

SW: Zur Eröffnung sollte die Arbeit The Zone der britischen Künstlerin Vicki Bennett gezeigt werden, in der sie die Spielfilme Stalker und The Wizard of Oz gegenüberstellt. Wegen möglichen Verletzungen der Urheberrechte wird sie nun doch nicht gezeigt. Was ist passiert?

KG: Vicki Bennett und der Verleih haben sich entschieden, die Arbeit zurückzuziehen, da Bennett in Großbritannien sonst mit einer ernstzunehmenden Klage rechnen muss. Mosfilm, die russische Firma, die die Urheberrechte für Andrei Tarkovskys Stalker besitzt, hat sich gemeldet und die Nutzung des Films für die Arbeit untersagt. Zeigen können wir sie also nicht, den Programmplatz dafür behalten wir aber bei. Wahrscheinlich werden wir einen Text zur Verfügung stellen, der die Arbeit beschreibt. Damit wollen wir darauf hinweisen, wie sehr sich die Urheberrechtslage verschärft hat.

SW: Medienkunst lebt von einer ausgeprägten Remix-Kultur, viele bei der transmediale vertretenen Künstler arbeiten mit Material aus dem Netz.

KG: Ja, das ist absurd. Vicki Bennett ist eine renommierte Vertreterin der zeitgenössischen Appropriation Art, die ja komplett auf der Verwendung vorhandenen Materials basiert. Bei The Zone ist es allerdings etwas komplizierter als bei anderen Arbeiten, die sich in diversen Quellen bedienen. Die Arbeit bezieht sich nur auf zwei Filme und das sehr explizit. Bei der Filmarbeit, die Bennett speziell für die transmediale 2013 als eine Art Trailer geschaffen hat, ist das genauso. Die können wir aber zeigen, da hat sich bisher niemand gemeldet.

SW: Ähnlich wie die Urheberechtsdebatte spitzt sich auch die Diskussion um freien Zugang zu Information im Netz zu. Hat die transmediale Anworten?

KG: Die Open-Source-Philosophie ist längst nicht mehr nur Thema in der Programmierer-Community, sondern auch im Journalismus und in Universitäten. Wir haben dieses Mal besonders viele Veranstaltungen zum Thema Post-Publishing im Programm, zum Beispiel ein Workshop, in dem Teilnehmer lernen, wie sie Bücher schnell scannen und  ihre Heimbibliothek digitalisieren können. Das Kopieren an sich ist ja kein illegaler Akt. Einige Gäste stellen neue Formen des digitalen Herausgebens vor. Gary Hall wird da sein, er ist Professor für Medienkunst und seit vielen Jahren Aktivist der Open-Access-Bewegung, die sich für den freien Zugang zu wissenschaftlichen Dokumenten einsetzt.

SW: Was wirst Du auf keinen Fall verpassen?

KG: Als Künstlerischer Leiter liegt mir natürlich das Programm als Ganzes am Herzen. Was ich aber auf keinen Fall verpassen werde, ist das Gespräch mit Alejandro Jodorowsky, das wir live im Haus der Kulturen der Welt übertragen. Er wird über seine legendäre Comicserie „Der Inkal“ sprechen. Wir wollen Aufmerksamkeit auf die faszinierende Kraft fiktiver Welten lenken, die in der kritischen Medienkunst leider vernachlässigt wird.

Interview im Transmediale-Blog