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Silikon im Haar 01/2015, Tagesspiegel

Im Berliner Me Collectors Room will „Queensize“ zeigen, wie sich Künstlerinnen Sex, Geburt und Tod vorstellen

Die Sammlung Olbricht lädt zu Bett mit ihren Künstlerinnen. „Queensize“ heißt eine Schau im Me Collectors Room mit ausschließlich weiblichen Positionen. Dabei dient die Bezeichnung einer Hotelbettgröße – die Matratze Queensize ist kleiner als das gängige Kingsize-Format – als Sinnbild für Existenzielles wie Leben und Tod, Geburt und Verfall. Themen, die auch die gezeigten Künstlerinnen verhandelten. So erklären die beiden Kuratoren der Ausstellung, Wolfgang Schoppmann und die Fernsehjournalistin Nicola Graef, ihr Konzept. Manch anderer mag beim Hotelbett an gekauften Sex denken.

Auf die Vermittlung der Geschichte oder der Gegenwart feministischer Kunst verzichten die Ausstellungsmacher.Lieber versammeln sie unter dem Label weiblich knapp 150 Arbeiten von 60 Künstlerinnen und hängen Fotografien von Marilyn Minter und Bettina Rheims an eine Wand mit Porträts von Daniela Rossell, die Frauen der mexikanischen Oberschicht in ihrer selbstgewählten Isolation inszeniert. Weil sich aber alle drei Positionen mit erotischen Rollenzuweisungen auseinandersetzen und dabei auch mal viel Brust zeigen, mündet dieses undifferenzierte Nebeneinander in einer schrägen Zurschaustellung, die vor allem den männlichen Blick des Sammlers repräsentiert.

Olbrichts Sammlung lässt in die Abgründe der menschlichen Psyche blicken

Dabei lassen sich durchaus Anknüpfungspunkte finden, die auf mehr als die Geschlechtsmerkmale verweisen. Thomas Olbrichts thematische Sammlung von zeitgenössischer Kunst lässt in die Abgründe der menschlichen Psyche blicken. Mit Werken, die sich mit Sadismus, Gewalt oder Pornografie auseinandersetzen. Mal kommen sie unheimlich daher, mal makaber. So finden sich in der aktuellen Schau auch Materialbeschreibungen wie jene zu einer Arbeit von Patricia Piccinini, deren Skulpturen ethische Fragen berühren: „Silikon, Fiberglas, menschliches Haar, Kleidung, Rothalswallaby, Teppich“. Entstanden ist daraus die Figur eines Mädchens, das mit geschlossenen Augen auf einem Teppich kauert, auf dem Rücken das besagte Wallaby, das wie eine tote Riesenratte mit weißem Fell aussieht.

Um feministische Kunst sei es ihm nie gegangen, sagt Olbricht, nur um künstlerische Qualität. Dennoch besteht knapp die Hälfte seiner Sammlung aus Werken von Künstlerinnen; darunter solche, die ihre Arbeit als explizit feministisch verstehen. So zeigen Tuschezeichnungen von Marlene Dumas in Dessous gekleidete Frauen mit schwarz verwischten Gesichtern. Verstörend und verletzlich präsentieren sie weibliche Körper und reflektieren zugleich deren mediale Inszenierung. Ein Ölgemälde von Elizabeth Peyton aus dem Jahr 1995 porträtiert den androgyn wirkenden jungen Vater der Künstlerin.

Ein Animationsfilm von Nathalie Djurberg beeindruckt

Unter den jüngeren Arbeiten beeindruckt ein Animationsfilm von Nathalie Djurberg, in dem Knetfiguren albtraumartige Szenen spielen. Für „The Experiment (Greed)“ von 2009 schuf sie drei Geistliche mit grässlichen Fratzen, die mädchenhafte, nackte Frauenfiguren quälen und sie immer wieder unter ihre Kutten zwingen.

Um ihre Wirkung muss sich die Schau also nicht sorgen. Wohl aber um den Zusammenhalt des Konzepts, das einen „spezifischen Blick“ verspricht, ohne ihn zu erläutern, zu deuten. Das erinnert an die Ausstellung „Boom She Boom“, mit der das Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) vor kurzem eine neue Ausstellungsfläche im Taunusturm eröffnet hat. Mit Künstlerinnen aus der Sammlung wie Isa Genzken oder Rosemarie Trockel. Auch hier dürfte das Publikum etwas ratlos sein, wenn MMK-Chefin Susanne Gaensheimer erklärt, es gebe keine Differenz zwischen weiblichen und männlichen künstlerischen Positionen. Folgerichtig erübrigt sich auch die Ausstellung, oder?

Die Vorstellung vom bipolaren Geschlechterkosmos überholt sich ohnehin gerade selbst. Künstler wie Ryan Trecartin, dessen erste institutionelle Einzelausstellung gerade im Berliner KW Institute of Contemporary Art zu sehen ist, buchstabieren in ihren Werken längst Visionen einer Transgender-Gesellschaft. Olbricht sammelte schon früh Arbeiten von Cindy Sherman, die für ihre Selbstporträts in immer neue Rollen schlüpfte und dabei Kategorien wie männlich oder weiblich infrage stellte.

An der Fotowand in Berlin hängt aktuell ihre Farbfotografie „Untitled #225“ von 1990. Es ist die Adaption eines sakralen Bildes von Botticelli, auf dem eine Frau eine ihrer Brüste unter dem Kleid hervorholt und im dünnen Strahl Muttermilch verspritzt. Ein Motiv, mit dem Cindy Sherman auch die Beziehung zwischen Maler und Modell untersucht – nur dass in ihrem Fall die beiden Protagonistinnen identisch sind.

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