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Keren Cytter: Selection 09/2016, Spike Art Quarterly

Man betritt das Gebäude an anderer Stelle als sonst. Und auch die Architektur der Halle des Grazer Künstlerhauses hat Keren Cytter verändert. Nicht nur eine Rampe für RollstuhlfahrerInnen befindet sich hier – eine Kopie davon steht jetzt schräg gegenüber, quasi gespiegelt. Zwei ebenso gespiegelte Texte führen in die Ausstellung ein. Cytter hat dafür zwei Versionen geschrieben. Der Text funktioniere hauptsächlich als ästhetisches Element, steht da, neben mehr vordergründig Orientierung gebenden Anweisungen zu Lauf- und Blickrichtungen und knappen Hinweisen zu den Arbeiten. Die israelische Künstlerin (*1977) poetisiert und dekonstruiert die Ausstellungsarchitektur im postmodernen Modus. Dieser zieht sich auch durch ihr Werk, das sie hier mit sich selbst interagieren lässt. Kaleidoskopisch kreist es um den mediatisierten Menschen auf der Suche nach Sinn und Unsinn des (sozial determinierten) Lebens und um seine, ihm immerzu auf Screens begegnenden Alter Egos.

Dafür zitiert Cytter gerne aus der Filmgeschichte: Hier klingt der US-amerikanische Underground- und Independentfilm à la Kenneth Anger oder Jim Jarmusch an, da italienisches Autorenkino von Pier Paolo Pasolini oder Michelangelo Antonioni. Oder die Ästhetik von Amateurfilmen aus dem Internet, wie in ihrem neuesten Film „Object“ (2016). Die Kamera zoome oder schwenke darin nicht, erfährt man ausschnitthaft im Wandtext, sondern die SchaupielerInnen müssten ihre Körper konstant auf den Bildausschnitt ausrichten. Gedreht hat Cytter mit russischen DarstellerInnen in ihrem New Yorker Apartment (wo im Hintergrund auch mal ein Kenneth Anger-Plakat zu sehen ist) eine absurde Beziehungsparabel, inszeniert als blaustichiges Kammerspiel zwischen drei jungen Männern, von denen einer im halboffenen Bademantel immer wieder seinen Penis vor die Kamera hält, und einer überzeichnet objektifizierten Frau.

Auch „Untitled“ (2009) erläutert Cytter im Text kurz: Der Film begleite SchauspielerInnen hinter und auf der Bühne und sei von Cassavetes’ „Opening Night“  aus 1977 beeinflusst. Da spielt eine alternde Schauspielerin eine alternde Schauspielerin – sie spiegelt sich selbst. Die zum Trennungsdrama umgemünzte Adaption hat Cytter im Berliner Hebbel-Theater vor Live-Publikum gedreht und erstmals bei der Venedig-Biennale gezeigt. In Graz hat sie Sitzstufen aus Holz davor aufgestellt, die wiederum die Mise en Scéne spiegeln. Zusammen mit weiteren Filmen laufen auf zwei gegenüberliegenden Leinwänden die beiden 2008 am gleichen italienischen Schauplatz und mit den gleichen Figuren, aber voneinander abweichenden Szenen und Dialogen gedrehten Filme „In Search for Brothers“ und „A Force from the Past“ – wie verzerrte Spiegelbilder. Es sind Hommagen an Pasolini und Fellini, greifen moralisierende und medial karikierte Genderklischees auf.

Eine entscheidende Rolle spielt die Sprache in Cytters Filmen. Ihre Skripte sind dicht und literarisch, die Figuren kommentieren sich oft selbst. Voice Overs überlagern Dialoge und Monologe, Untertitel weichen auch mal vom Text ab. Hin und wieder publiziert sie Romane. Zur Ausstellung erscheint die Novelle „A–Z Life Coaching“, in der je ein Buchstabe für eine Figur steht. Es sei ein lückenhafter Führer fürs Leben, erklärt Cytter, der Inhalt sei mehrfach verändert worden und sie habe in der Mitte angefangen zu schreiben – achsengespiegelt sozusagen.

Für den Betrachter der Filme ist es in Graz ein wenig unbequem. Statt im gemütlichen Kinosessel lässt sich die Pasolini-Hommage nur von einer kleinen Bank aus und mit Kopfhörern beschauen. Und die zu schmal geratenen, bis zur Decke reichenden Theatersitztreppen konstruieren ein disproportionales Raumgefühl. So wird die Architektur zur Metapher für ein Werk, das sich zwischen Kunst, Kino, Theater und Literatur verortet, sich aber in keine dieser Gattungen zwängen lässt, sondern sie lieber reflektiert. Daher ist es nur folgerichtig, es als Spiegelkabinett vorzuführen.