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Auferstehung im Netz 02/2013, Transmediale-Blog

Grabungen im Archiv der transmediale bringen Schätze aus 25 Jahren Medienkunst zum Vorschein

Archäologen suchen nach Steinwerkzeugen, Grabkammern und Amphoren. Medienarchäologen freuen sich schon über Projektoren, Videobänder oder Polaroids, wie die aus dem Archiv der transmediale. Seit 2011 wühlen sich Ruth Kemper und Baruch Gottlieb durch einen Schatz der jüngeren Mediengeschichte: Disketten, Videobänder und DVDs mit Arbeiten aus über 25 Jahren Video- und Multimediakunst und durch den Nachlass des transmediale-Gründers Micky Kwella, der 2003 im Alter von 54 Jahren verstarb.

1988 rief Kwella zusammen mit der MedienOperative, einer Gruppe von Videokünstlern und Journalisten, das VideoFilmFest ins Leben, damals fand es noch im Rahmen der Berlinale statt. Die internationale Videokunstszene und die mit neuen elektronischen Medien entstehenden Genres gewannen damit eine Plattform, die stetig wuchs und 1998 schließlich zur transmediale wurde.

Schon die 1980er und 1990er Jahre fühlen sich steinzeitlich an, wenn man klobige U-matic-Vorführbänder in den Händen hält. Wie viele andere Datenträger schlummern sie heute fast ausschließlich in Archiven und warten auf ihre digitale Auferstehung und Verbreitung im Netz. Video- und Medienkunst aus dieser Zeit bleibt mangels Vorführequipment oder kompatibler Betriebssysteme meist im Verborgenen.

Das EU-Programm Digitising Contempory Art hat die Digitalisierung zeitgenössischer Kunst seit 1945 angeschoben. Institutionen und Festivals aus ganz Europa scannen Werke und transformieren Daten, um sie dann auf der Plattform Europeana für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Neben der transmediale arbeiten im Rahmen des Programms auch die Ars Electronica und das European Media Art Festival ihre Medienkunstarchive auf.

Kemper und Gottlieb digitalisieren und kategorisieren noch bis Mitte 2013 über 5.000 Arbeiten – alle, die in den vergangenen 25 Jahren ins Programm gefunden haben, und darüber hinaus jede Menge Einreichungen. In der Masse lassen sich retrospektiv die mit dem technologischen Fortschritt wachsenden künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten nachvollziehen und die großen Themen der jeweiligen Jahrzehnte ausmachen. In den späten 1980ern etwa hätten sich viele Arbeiten mit dem Thema Aids auseinandergesetzt, erklärt Gottlieb, selbst Medienkünstler und Kurator.

Bei ihren Grabungen in Kwellas Nachlass stießen Kemper und Gottlieb auch auf alte Videokunsthandbücher und einen langen Briefwechsel aus dem Jahr 1989 zwischen Kwella, DDR-Künstlern und dem Fernsehen der DDR, in dem er sich dafür einsetzt, DDR-Künstler zum VideoFilmFest zu holen.

Neben Dokumenten und Kunstwerken digitalisieren Kemper und Gottlieb auch Mitschnitte vergangener Symposien auf Audiokassetten und Videobändern. „Wenn man auf Panel-Titel wie ,Was ist das Internet?’ stößt, oder auf Szenen, in denen Zuschauer mit einer E-Mail-Adresse aufgefordert werden, sich zu melden, und nur zwei Hände hochgehen, wird einem bewusst, wie schnell sich unsere Gesellschaft verändert hat,“ erzählt Gottlieb.

Bis die Daten tatsächlich im Netz zugänglich sind, ist noch viel zu tun. Die Künstler müssen ausfindig gemacht und kontaktiert werden, damit sie der Veröffentlichung ihrer Werke zustimmen können. Manche Datenträger sind beschädigt, vor allem DVDs, die im Vergleich zu den robusten Videobändern der 1980er Jahre störanfälliger sind. Einige Werke rettet die Digitalisierung buchstäblich vor dem Verschwinden von der Bildfläche.

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