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Time Without End 11/2021, Eikon

Diese Architektur erzählt schon selbst viel: Von den Nazis als Verwaltungskomplex für die Luftwaffe gebaut, wurde sie später als Hauptquartier des US-Militärs genutzt und schließlich als Filmset, unter anderem für Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“. Heute beherbergt die mustergültige faschistische Kulisse im Berliner Ortsteil Dahlem eine Wohnanlage im Stil einer Gated Community. Und im Hauptgebäude hat der Videokunstsammler Markus Hannebauer nach aufwendiger Sanierung 2019 einen Kunstraum eröffnet. Eine kluge Ausstellung verhandelt nun im dunklen Inneren des geschichtsträchtigen Gebäudes zwischen schwarzen Marmorwänden und -säulen und auf zwei von einer geschwungenen Doppeltreppe verbundenen Ebenen die Beziehung von Film- und Videokunstwerken zu den Geschichten, die sie erzählen.

Titelgeberin und Ausgangspunkt ist eine aus Hannebauers Sammlung stammende Arbeit: Klaus vom Bruchs „Time Without End“ (1996/2017). Darin zerklüftet der Künstler eine knappe Sequenz aus einem alten Hollywoodfilm durch Unterbrechungen zwischen den einzelnen Frames: Zu sehen ist eine Frau im Zug beim Lesen des Buchs „Time Without End“, das ihr beim Einschlafen aus den Händen gleitet. Vom Bruch legt das Konstrukt Bewegtbild offen und kommentiert die Verfasstheit der Medienrealität. So kann man vor der Kulisse des Gebäudes etwa auch an jene faschistischen Inszenierungen für Film und Fotografie denken, wie Walter Benjamin sie in „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ im Sinne einer medialen Ästhetisierung von Politik beschreibt.

Die Arbeit „Corpse Cleaner“ (2019) des Kollektivs 13BC macht die fließenden Grenzen zwischen Realität und Medium anschaulich. Ihr Ausgangspunkt ist ein fiktionaler Briefwechsel zwischen dem US-Militärpiloten Claude Eatherly, der 1945 im Abwurfkommando der Atombombe über Hiroshima war, und dem jüdisch-deutschen Philosophen Günther Anders. Während einer Kamerafahrt durch das Lager einer Filmausstattungsfirma in Los Angeles sinniert Anders über die Absurdität, vor den Nazis geflohen zu sein, um im Exil Duplikate von SS-Stiefeln für die Hollywoodfabrik zu polieren.

Die sich stapelnden Requisiten bilden unterschiedliche Epochen ab und bieten ein Bild für das kinematografische Aushebeln von Zeitlichkeit. Darauf hebt auch Valerie Snobecks „Go Soft“ (2014) ab: Zu sehen sind die Hände eines Uhrmachers, der ein Uhrwerk zerlegt, reinigt und wieder zusammensetzt. Sobald die Zeit wieder läuft, beginnt auch das Video wieder von vorne, eine Art Mise en abyme, wie das Bild im Bild oder der Film im Film. Eine echte Mise en abyme ist Florian Wüsts Beitrag. Für eine Ausstellung in der Ausstellung hat er historische Dokumente und Filme zusammengetragen, darunter eine UFA-Wochenschau oder einen Agitprop-Film von Harun Farocki, um die Bildproduktion um Westberlin und die US-amerikanische Einflussnahme im Kalten Krieg zu untersuchen. Hier geht es wie in der gesamten Ausstellung im engen Sinne darum, in welchem Verhältnis Film und Architektur zueinander und zu der in ihnen dokumentierten Geschichte stehen.

Im Gegensatz zur Realität hat der Film den Vorteil, dass sich in ihm auf alle möglichen Weisen in die Zeit, auf der ja beides basiert, intervenieren lässt. Davon machen auch die Arbeiten von Keren Cytter, Loretta Fahrenholz, D’Ette Nogle und Richard Sides rege Gebrauch. Einzig „Film (Fluentum)“ (2021) bricht aus dem Medium aus, nur um gleich wieder eine eigene Zeitlichkeit einzuführen: Für die architektonische Intervention beklebt Margaret Honda die Segmente eines Fensters während der Ausstellungslaufzeit mit wechselnden, verschiedenfarbigen Lichtfiltern, die sonst zum Färben von Scheinwerferlicht verwendet werden. Der Ausstellungsraum wird – allegorisch – wieder zum Filmset. Zumindest bis zum Ende der Ausstellung scheint die Filmzeit noch immer nicht enden zu wollen.

Fluentum, Berlin, 15.9. bis 11.12.2021