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Studiobesuch: Alicja Kwade 09/2014, Schirn Mag

In der Ausstellung „Unendlicher Spaß“ zeigt die Berliner Künstlerin Alicja Kwade ein im Kreis gebogenes Fahrrad. Sie hat Humor. Das bewies sie auch beim Gespräch in ihrem Studio.

Gut gelaunt wirbelt Alicja Kwade an diesem Sommernachmittag in ihrem Berliner Studio umher. Durch zwei kleinere Räume hindurch, vorbei an einigen fotoscheuen Assistenten, gelangt man ins Herzstück des Reichs der in Polen geborenen und in Hannover aufgewachsenen Künstlerin: in eine lichtdurchflutete Halle mit geschwungenen Stahlträgern und herrlichen Dachfenstern. Zwischen Kunstwerken, Kisten und Kabeln stehen ein Vintage-Sofa, Polstersessel, ein mintgrüner runder Tisch und dazu passende Freischwinger. Von einer auf halber Raumhöhe eingezogenen Ebene aus blickt man über die ganze Halle. In den Zwanzigerjahren waren hier Filmstudios untergebracht, da huschte noch Marlene Dietrich durch die Räume. Hier sei zum Beispiel der „Der Blaue Engel“ gedreht worden, erzählt Kwade. Heute arbeiten hier mehrere Künstler, etwa der Bildhauer Michael Sailstorfer, ein Freund Kwades.

Kwade gönnt sich eine Zigarettenpause und nippt an einem Kaffee. Gerade bereitet sie mit ihren Mitarbeitern eine Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen vor. Unter anderem wird dort eine Variante ihrer Installation „Nach Osten“ zu sehen sein, die das Kunstpublikum 2013 erstmals im von ihrem Galeristen Johann König betriebenen Kreuzberger Ausstellungsraum in der ehemaligen Kirche St. Agnes begeisterte. Inspiriert hatte Kwade dazu das Foucault’sche Pendel, mit dem der Physiker Léon Foucault im 19. Jahrhundert bewies, dass sich die Erde dreht. Er ließ eine Metallkugel an einem langen Draht von der Kuppel des Pariser Panthéons herabbaumeln. Sie schwang nicht nur konstant wie ein Pendel hin und her, sondern zeichnete mit der Bewegung einen Kreis. Kwade griff die Idee auf und ließ statt einer Metallkugel eine Glühbirne von der hohen Kirchendecke hinab in den dunklen, brutalistischen Raum schwingen. Der Kreis wurde so zur glühenden visuellen Spur der Erdrotation. In ihrem Studio baumelt gerade eine Lampe im Bauhausstil von der Hallendecke bis knapp über dem Boden, Kwade simuliert das Experiment für neue Versionen.

In ihren Skulpturen und Installationen verarbeitet die Künstlerin alle möglichen Materialien, nicht selten müssen Techniken erst entwickelt werden, damit ihre Ideen überhaupt umgesetzt werden können. In der SCHIRN ist gerade „Reise ohne Ankunft“ zu sehen, ein sauber im Kreis gebogenes Fahrrad. Gleich zwei Fahrräder musste sie für ihr komplexes Vorhaben verarbeiten lassen. Sie wurden in Teile zerlegt, die dann gebogen und wieder zusammengeschweißt wurden. Ursprünglich war das Objekt – noch nicht ganz im Kreis gebogen – Teil einer Installation, die Kwade 2012 in Berlin zeigte. „In Circles“ bestand aus mehreren halb gebogenen und wie in einem Planetenmodell angeordneten Objekten, darunter zum Beispiel Spiegel und Türen. Das Fahrrad sollte eigentlich noch fahrbar bleiben. Doch das hinzubekommen, wäre einfach viel zu aufwendig gewesen, erzählt Kwade.

Es sind absurde Parallelwelten, die in Kwades Studio entstehen. Sie führen scheinbar naturwissenschaftliche Gesetze ad absurdum, irritieren die Wahrnehmung und stellen Sehgewohnheiten auf dem Kopf. An einer Wand stehen gebogene Metallstangen, als Installation arrangiert ergeben sie eine von Eadweard Muybridges Chronofotografie inspirierte Bewegungsstudie. „Ich bin ein bisschen besessen von dem Gedanken, Zeit physisch im Raum erlebbar zu machen,“ erklärt Kwade. Um den Hals trägt sie eine goldene Kette mit einem Anhänger in Form zweier Kreuze. Ihr Freund, der Künstler Gregor Hildebrandt, hat sie ihr geschenkt. Es ist nicht etwa nur ein Schmuckstück, sondern eine Edition des Künstlers Jonathan Horowitz mit dem Titel „A Cross for Two“. Im Original hatte er die Arbeit als Installation aus Neonröhren realisiert. Das doppelte Kreuz passe hervorragend zu ihrer Arbeit, findet Kwade: „Ich beschäftige mich ja auch mit der Doppelmöglichkeit von Interpretationen und Weltauffassungen. Mich faszinieren Gedanken zu Parallelwelten, im Grunde also dazu, ob die Welt so ist wie sie ist, oder ob sie auch eine andere sein könnte.“

Der riesige Suchscheinwerfer eines alten Schiffs steht mitten im Studio, Kwade hat ihn vor Jahren entdeckt und mitgenommen. Irgendwann möchte sie vielleicht mal etwas damit machen. Sie habe eine Sammelleidenschaft, gibt die Künstlerin zu, die Studioregale quellen über mit Uhren, Nippes, Leuchten. Das meiste hat sie im Internet oder auf Trödelmärkten gekauft. Auch ein Lager sei schon voll. Es sei aber mehr schwarzes Loch als Archiv, meist verschwänden die Sachen darin, selten fände etwas den Weg in eine ihrer Arbeiten, sagt Kwade und lacht. Oft sammle sie Sachen über Jahre hinweg, ohne wirklich zu wissen warum. Ihren Humor bewahrt sie sich. Den Roman „Unendlicher Spaß“, der die Ausstellung inspiriert hat, in der ihr Fahrrad jetzt zu sehen ist, findet sie schön lustig und bissig: „Ich mag die ironische Übertreibung, mit der David Foster Wallace soziale Kritik übt. Mir macht es selbst großen Spaß, wenn ich eine Arbeit mache, die einfach zum Totlachen ist.“

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