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Der megalomane Kurator 02/2013, Transmediale-Blog

Mit seinem „Imaginären Museum“ antizipierte André Malraux Funktionsweisen der digitalen Welt. Dennis Adams lässt die Idee in einem Film aufleben

Die Schuhe glänzen, das Einstecktuch sitzt perfekt in der Sacko-Tasche, die Haare sind fein säuberlich zurückgekämmt. Der Mann, der sich da auf der Leinwand über Bildtafeln antiker Skulpturen und Reliefs rollt, seine Zigarette dramatisch vor der Kamera dampfen lässt und bedächtig die Eiswürfel in seinem Drink schwenkt, ist Dennis Adams. Der US-amerikanische Künstler ist in die Rolle André Malraux’ geschlüpft, Schriftsteller (La Condition Humaine), Kunsttheoretiker, Kämpfer der Résistance, Charles de Gaulles’ Kulturminister, eine der schillerndsten Figuren der französischen Geschichte. Malraux’s Shoes (2012) übernimmt Motiv und Ästhetik einer berühmten Schwarzweiß-Aufnahme. Sie zeigt Malraux aus der Vogelperspektive in seinem Büro, unter seinen Füßen und über den gesamten Boden verteilt liegen Bildtafeln seines Buches Das Imaginäre Museum der Weltskulptur.

Dass Malraux heute wieder viel Aufmerksamkeit erfährt, liegt vor allem an seinem Konzept des Imaginären Museums, ein Archiv-Projekt, das er 1947 verkündete und an dem er bis zu seinem Tod im Jahr 1976 arbeitete. In einem Museum „ohne Wände“ wollte er die gesamte Kunstgeschichte der Welt versammeln. Dafür arrangierte er fotografische Reproduktionen von Werken in immer neuen Formationen und stellte so unerwartete Bezüge her. Sein Vorhaben war zwar noch an das Buch gebunden, doch Malraux antizipierte mit seiner Vorgehensweise Prozesse der Kontextualisierung in der zeitgenössischen digitalen Kultur. Die transmediale will sie mit dem auf Malraux’ Idee aufbauenden Projekt File_Under: The Imaginary Museum untersuchen.

Bei Dennis Adams tritt der französische Querdenker als megalomaner Kurator der Weltkunstgeschichte auf, der an der Größe seines Projekts verzweifelt. „Es gibt keinen Kontext,“ schreit er in die Kamera, „das Kunstwerk ist autonom!“. Die 42 Filmminuten entfalten sich entlang eines Monologs, der immer wieder von hysterischen Ausbrüchen unterbrochen wird. Biografische Ereignisse aus Malraux’ bewegtem Leben verschmelzen mit Kommentaren zur Gegenwart, Künstler wie das britische Duo Gilbert & George tauchen auf, ironische Anmerkungen zu berühmten Zeitgenossen Malraux’, wie dem Surrealisten André Breton oder dem Situationisten Guy Debord, nehmen die Vergangenheit modernistischer Denkstrukturen aufs Korn, an denen auch Malraux’ Sichtweise noch krankt.

Mit vielen Detail- und Großaufnahmen und anderen filmischen Mitteln betont Adams den Montage-Charakter des filmischen Werks und setzt es so auch formalästhetisch in Beziehung zum Imaginären Museum. Film wird darüber hinaus explizit zum Thema: Adams lässt Malraux zum Beispiel über Eadweard Muybridge sprechen, der mit seinen Chronofotografien zu den wichtigsten Wegbereitern der Filmtechnik gehört, oder über die Ästhetik Jean-Luc Godards, lässt in seinem Monolog Diven wie Marilyn Monroe oder Elizabeth Taylor auftreten und reiht ikonische visuelle Momente aus der Filmgeschichte wie die „Harfenklänge über Faye Dunaways Gesicht in Chinatown“ deskriptiv aneinander. Der Film wird so selbst zu einem Imaginären Museum der Filmgeschichte.

Wie bei Malraux oder in Adams Film wird das Kontextualisieren auch in der digitalen Kultur zum kreativen kuratorischen Akt. Dieser manifestiert sich in unzähligen Mash-ups oder auf Plattformen wie dem Google Art Project und Pinterest, auf denen jeder sein eigenes Imaginäres Museum kuratieren kann. Malraux’ Vision ist aktueller denn je. „Ich bin der Schiedsrichter, der das Spiel überdauert,“ lässt Adams ihn sagen.

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