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Aus dem Museum ins Netz 06/2012, Zeit Online

Der Kunstmarkt ist von der Digitalisierung kaum betroffen, aber die Debatte um die Reform des Urheberrechts ruft auch bildende Künstler auf den Plan.

Das Museum Schloss Moyland verfügt über die weltgrößte Joseph Beuys-Sammlung – seit einem im Dezember 2011 gefallenen Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf allerdings nur noch beschränkt. Manfred Tischer hatte 1964 auf Beuys’ Wunsch Fotografien einer Kunstaktion gemacht und später die Ausstellungsrechte an Schloss Moyland übertragen. Laut Urteil dürfen sie aber nur mit Zustimmung der Witwe des Künstlers und Urheberechtserbin Eva Beuys gezeigt werden. Diese stellt sich quer. Die rechtliche Frage im Kern des Streits: Stellen die Fotografien eine Bearbeitung des Kunstwerks dar und müssen deswegen von Eva Beuys autorisiert werden, oder handelt es sich eigene Werke des Fotografen?

Schloss Moyland wird in diesem Fall von dem Urheberrechtsexperten Andreas Okonek vertreten. Gerade bei Performances und Happenings, so Okonek, sei nicht eindeutig festzustellen, was das Werk eigentlich ausmache: „Ist es ein Ganzes oder besteht es aus einer Vielzahl von Einzelszenen?“ In Düsseldorf befand das Gericht, dass eine Verletzung des Urheberrechts vorliege: Die einzelne Fotografie sei eine unzulässige Bearbeitung des Gesamtwerks. „Das halten wir neben weiteren Aspekten der Urteilsbegründung für falsch“, sagt der Anwalt. Er hat Revision vor dem Bundesgerichtshof eingelegt.

Wenn im Bereich der Bildenden Kunst wegen des Urheberrechts gestritten wird, geht das kaum noch ohne Experten wie Okonek. Das Thema ist extrem komplex – und es könnte, ähnlich wie in der Musikwirtschaft, in naher Zukunft vermehrt auch private Nutzer betreffen. Im Netz kursiert eine Vielzahl von Bildern in Blogs, in Flickr-Galerien oder auf Websites, die von ihren Urhebern für diese Art der Nutzung nicht freigegeben wurden. Da Bilder, hat man sie erst ins Netz gestellt, sich unendlich oft vervielfältigen lassen, ist für den Urheber auch meist gar nicht mehr nachzuvollziehen, wohin sein Bild gewandert ist. Und umgekehrt: Wer ein Bild nutzen möchte, hat oft gar keine Möglichkeit herauszufinden, von wem es ursprünglich stammt.

Die wichtigste Einnahmequelle für Künstler bleibt das originäre Werk

Die Digitalisierung hat die Marktmechanismen der Kunstwelt nicht so grundlegend verändert, wie die der Musikbranche. Für bildende Künstler wie Maler oder Bildhauer ist es nach wie vor das originäre Gemälde, ist es die von ihnen geschaffene Skulptur, für die sie bezahlt werden – doch auch diese werden fotografiert und gelangen so ins Netz. Gerade für Fotografen ist die Weitergabe ihrer Bilder ärgerlich, auch – oder erst recht – wenn diese vom Nutzer weiter bearbeitet werden. In der Regel führt diese Veränderung nämlich nicht, wie im Urheberrechtsgesetz vorgeschrieben, zum eigenen Werk: Die Hoheit bleibt beim Künstler. Und Geld fließt in den seltensten Fällen.

Die vor rund zwei Jahren von der Bundesregierung eingesetzte Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft entwickelt schleppend Handlungsempfehlungen für eine Gesetzesreform, um das Recht den neuen Gegebenheiten anzupassen. Nach einem Ende vergangenen Jahres veröffentlichten Zwischenbericht protestierte der Bundesverband Bildender Künstler (BBK) . In dessen Stellungnahme heißt es, der Entwurf enthalte „Bewertungen des bisherigen Urheberrechts und Vorschläge für neue Regelungen, die – würden sie so im Bundestag beschlossen werden – gravierende Auswirkungen für die Urheberinnen und Urheber hätten.“

Werner Schaub, Vorsitzender des BBK, sieht die größte Gefahr im mangelnden Bewusstsein für geistiges Eigentum: „In der Präambel steht schon, ein Werk sei immer ein Rückgriff auf schon Dagewesenes und deswegen auch kein geistiges Eigentum. Das ist völlig absurd.“ Doch auf die Frage, welche Handlungsempfehlungen aus Sicht der bildenden Künstler angemessen wären, muss Schaub passen: „Auch wir haben keine Musterlösung parat, dann hätten wir ja das Ei des Kolumbus. Aber wenn die Wertschätzung für Urheberrechte weiter verbreitet wäre, hätten wir sicherlich weniger Probleme.“

Probleme könnten in Zukunft vor allem die Nutzer bekommen, die – sei es unwissentlich oder bewusst – Bilder verbreiten, deren Urheber sie nicht sind. Das deutsche Urhebergesetz ist da eindeutig: Derzeit macht sich fast jeder User, der zum Beispiel bei Pinterest oder Pictify Bilder ohne Erlaubnis der Urheber teilt, strafbar. Was nicht sein müsste. Initiativen wie Wikimedia Commons stellen beispielsweise lizenzierte Fotos zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung. Der – gefühlte – Bedarf der Nutzer übersteigt das Angebot jedoch um ein Weites. Und selbst eigene Fotos, auf denen Werke von bildenden Künstlern zu sehen sind, können zum Problem werden. „Ob eine private Aufnahme eines Kunstwerkes verbreitet werden darf, hängt vom Einzelfall ab. Zum Beispiel davon, ob die Fotografie mit Zustimmung des Künstlers entstand. Je bekannter ein Künstler ist, desto eher wird er Beschränkungen fordern. Im Zweifel würde ich eher von der Nutzung abraten,“ so Rechtsanwalt Okonek.

Zumindest darüber sind sich die wegen der Reform des Urheberrechts streitenden Seiten einig: Netzrealität und Rechtslage lassen sich nur schwer vereinbaren. Wie kann der Gesetzgeber Urheber schützen, ohne durch hohe Geldstrafen Angst und Schrecken zu verbreiten und User zu kriminalisieren? Wie können Massennutzungen legalisiert werden und Künstler davon profitieren? Wie kann man User für das Urheberrecht sensibilisieren? Egal, ob es um Film, Musik oder bildende Kunst geht – die Fragen ähneln sich und die Antworten sind noch nicht gefunden.

Ein Blick in die Verwertungskette macht das abstrakte Konzept Urheberrecht greifbarer. Künstler und andere Berufsgruppen wie Bildjournalisten oder Designer übertragen der Verwertungsgesellschaft (VG) Bild-Kunst in einem Wahrnehmungsvertrag bestimmte Rechte: zum Beispiel das Reprografierecht, also das Recht, Bilder in Publikationen wie Zeitschriften abzudrucken, oder das Senderecht für Beiträge im Fernsehen. Verlage und Sender bezahlen der VG Bild-Kunst für die verwendeten Bilder eine Künstlervergütung. Die Gesellschaft schüttet diese anteilig an die Künstler aus.

Den Abdruck seiner Bilder kann der Künstler untersagen

Bei der aktuellen Berichterstattung zu Ausstellungen oder Versteigerungen bedarf es keiner Abstimmung oder Abgabe. Handelt es sich aber um einen Hintergrundartikel oder ein Porträt, muss der Abdruck von Bildern lizenziert werden. Für das Kunstmagazin Monopol kam es zum Äußersten: Der britische Künstler Damien Hirst untersagte das Veröffentlichen von Bildern seiner Werke in der April-Ausgabe diesen Jahres kurz vor Druck. Er hatte den über ihn geplanten Artikel nicht wie gewünscht zum Gegenlesen erhalten. Aus journalistischer Sicht handelte die Monopol-Redaktion völlig richtig. Hirst konnte den Abdruck seiner Bilder dennoch untersagen.

Für Museen und Kunstvereine gelten Sonderregelungen, etwa das Katalogprivileg. Weder für die Ausstellung, noch für den Abdruck der Werke in Katalogen oder die Veröffentlichung in Werbemedien sind Abgaben zu entrichten. Der Künstler profitiert jedoch vom Folgerecht: Bei jedem Verkauf des Werks, also auch beim zweiten oder hundertsten Mal, geht ein bestimmter Prozentsatz an den Künstler. So wird sichergestellt, dass dieser nicht leer ausgeht, wenn sein Werk zwischen zwei Verkäufen im Wert gestiegen ist.

Auch Vergütungsansprüche aus der Abgabe für analoge oder digitale Privatkopien kommen Künstlern finanziell zugute. Bücher, Kataloge und andere Publikationen gelten als potenzielle Vorlagen für Kopien zum Privatgebrauch. Die Verlage – und damit die Verbraucher – zahlen dafür, dass theoretisch jeder ein Gemälde von Gerhard Richter aus einem Buch einscannen, ausdrucken und sich an die Wand hängen kann. Die Privatkopieabgabe fällt auch beim Kauf von Rohlingen, PCs und Laptops mit Brennern an. Auch im iPad ist eine Abgabe von rund 15 Euro im Kaufpreis enthalten.

Medial präsente Künstler wie Gerhard Richter schöpfen aus ihren Urheberrechten einen erheblichen Wert. Das Gros der Künstler allerdings nicht. Urban Pappi, seit Beginn des Jahres geschäftsführender Vorstand der VG Bild-Kunst, bestätigt: „Laut einer vom Bundesverband Bildender Künstler veröffentlichten Studie erhält lediglich ein Viertel der Künstler Geld von der VG Bild-Kunst.“ Weniger bekannte Künstler werden immerhin mit ein paar Euro entlohnt, zum Beispiel, wenn ihre Werke bei Gruppenausstellungen im Ausstellungskatalog abgedruckt werden.

Pappi war zuvor über zehn Jahre bei der Gema und kennt die unterschiedlichen Bedürfnisse der beiden Märkte: „In der bildenden Kunst spielen zum Beispiel Urheberpersönlichkeitsrechte eine viel größere Rolle als im Musikmarkt. Soll etwa ein Werk auf dem Titel einer Zeitschrift erscheinen, fragen wir beim Künstler nach. Die Gema lizenziert dagegen eher massenhafte Nutzungen, da spielen Einzelprüfungen keine große Rolle.“

Die Kulturflatrate wäre ein denkbares Modell

Ein Modell, das diskutiert wird, um auch massenhafte Nutzungen von Bildern ohne Einzelprüfung möglich zu machen, ist die Kulturflatrate. Würde jeder Nutzer einen pauschalen Betrag (ähnlich wie GEZ-Gebühren) an eine Verwertungsgesellschaft zahlen, könnten die urheberrechtlich geschützten digitalen Inhalte im Netz ohne Einschränkung zur Verfügung stehen – so die Theorie. Es hakt an der Umsetzung, aber Schaub hat sich von der Idee noch nicht verabschiedet: „Hinter der Kulturflatrate steht die Anerkennung des geistigen Eigentums als wirklicher Wert.“

Die Kulturflatrate könnte auch die Zusammenarbeit der VG Bild-Kunst mit dem Google Art Project vereinfachen. Es funktioniert ähnlich wie Street-View, nur dass man statt durch Straßen virtuell durch Museen und Galerien flanieren kann. Noch stehen hier nur gemeinfreie Werke zur Verfügung: Kunstwerke, bei denen die Schutzfrist nach deutschem Recht, also 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, abgelaufen ist. Museen aus der ganzen Welt präsentieren ihre Sammlungen digital und hochaufgelöst, darunter auch große deutsche Häuser wie die Alte Nationalgalerie in Berlin oder die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden . Etwa 30.000 Objekte stellt die Bilddatenbank zum Betrachten zur Verfügung – nicht um sie herunter zu laden. Immerhin können sich Nutzer hier eigene Galerien erstellen.

Die Rundgänge in den virtuellen Museen verlangen dem User allerdings feinmotorische Akrobatik ab, da ist die ebenfalls angebotene Slideshow durch die Sammlungen wesentlich einfacher. Ausgesuchte Werke will Google zukünftig sogar in einer Gigapixel-Auflösung darstellen, was 3.500 Fernsehbildern in HD-Qualität entspräche, so der Konzern. Der Trailer zum Google Art Project vermittelt einen Eindruck: Etwas psychedelisch mutet es an, Malerei digital und in derartiger Auflösung zu erfahren.

Wenn es nach internationalen Verwertungsgesellschaften ginge, könnten hier künftig auch jüngere Werke zur Verfügung stehen und die Künstler dafür entsprechend vergütet werden. „Wir wollen das Google Art Project lizenzieren und führen dazu gerade zähe Verhandlungen. Wie schon im Buch- und Musikbereich zeigt sich Google störrisch,“ so Pappi.

Im Rechtsstreit zwischen dem Museum Moyland und Eva Beuys um die Fotografien von Manfred Tischer wird der Bundesgerichtshof voraussichtlich im kommenden Jahr ein Urteil fällen. Für Kunstfotografen und Museen wird dieses Urteil folgenreich sein. Der Fall zeigt, wie komplex die Bedürfnisse der Urheber sind – eine Vereinfachung des Urheberrechts zugunsten einer unbeschwerten Netzgesellschaft wäre sicher keine Lösung.

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