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15 Minutes of Fame 11/2013, Schirn Mag

In der Gruppenschau „Privat“ zeigte das Künstlerkollektiv „Leo Gabin“ Videos junger Mädchen, die sich für das Internetpublikum vor der Kamera inszenieren, mal in knappen Höschen tanzend, mal prügelnd, mal trinkend. Für ihren neuen 40 Minuten langen Film „A Crackup At The Race Riots“, der jetzt neben einer Reihe von Gemälden bei Peres Projects in Berlin zu sehen ist, bedienten sich die drei Belgier wieder bei YouTube. Wir trafen Lieven Deconinck, Gaëtan Begerem und Robin De Vooght in Berlin zum Gespräch.

SW: Eure neue Arbeit „A Crackup At The Race Riots“ basiert auf dem gleichnamigen experimentellen Roman von Harmony Korine. Er hat unter anderem das Drehbuch zum Kultfilm „Kids“ geschrieben. Wie hängen Buch und Film zusammen?

LG: Der Roman ist vielmehr eine lose Sammlung von Ideen für Filme, Witzen, Abschiedsbriefen und Ähnlichem. 2010 lernten wir Harmony kennen und stießen auf das Buch. Es hat viel mit unseren Arbeiten gemeinsam, also entschieden wir uns, was damit zu machen. „Tallahassee“ ist eine sehr freie Adaption. Aber wir haben aber auch einige Textstellen einsprechen lassen und mit dem gefundenen Videomaterial kombiniert.

SW: Was hat euch an dem Buch gereizt?

LG: Die Ästhetik, diese zufällige Art des Erzählens und die poetische Atmosphäre. Aber auch die Inhalte. Das Buch ist von 1998, also einer Zeit vor dem Internet, wie wir es kennen. Die Popkultur war damals eine ganz andere. Trotzdem gibt es Parallelen zur Gegenwart, etwa die Idealisierung von Stars und der Wunsch, selbst einmal Star zu sein, der ja viele Aktivitäten bei YouTube antreibt.

SW: Ihr findet Amateurvideos bei YouTube und ähnlichen Plattformen. Dort laden Menschen die absurdesten Sachen hoch. Auch in eurem Film ist verrücktes Zeug zu sehen. Teenager, die lasziv zu Songtexten wie „Fuck me hard“ tanzen, eine kleinwüchsige Stripteasetänzerin, die von Zuschauern gefilmt und mit Geldscheinen überschüttet wird, ein Mann, der zwei kleine Jungs fast zu Tode erschreckt und ihre Reaktion filmt. Das mach Angst.

LG: Der Film ist tatsächlich dunkler als das, was wir vorher gemacht haben. Das hat eben auch mit der Vorlage zu tun. Das Buch ist lustig, stellenweise aber auch sehr traurig. Das wollten wir transportieren. Und dann gehört das ja auch zur Netzkultur: Die Leute laden einfach jede Menge schreckliches Zeug hoch. Wir arbeiten bewusst nur mit Material, das eine gewisse Grenze nicht überschreitet. Nichts im Film ist wirklich schockierend. So bleibt die Ästhetik im Bereich des Poetischen.

SW: Das ist ähnlich wie bei den YouTube-Clips, die Kinder zeigen, deren Eltern ihnen gerade gesagt haben, dass sie ihre Halloween-Süßigkeiten aufgegessen haben. Die wurden in Social Media ja rauf und runter gespielt.

LG: Bei YouTube gibt es richtige Trends. Die haben wir ja auch für unsere Arbeit „Teacherz and Bleacherz/Girls Room Dance/Cleaning/Killin’It“ benutzt, die in der Schirn zu sehen war. Es gibt massenhaft Videos von jungen Mädchen, die vor den Kamera anzüglich tanzen. Teenager finden das okay, weil sie viele Klicks und damit soziale Anerkennung bekommen. Sie tun alles für diese „15 minutes of fame“, von denen schon Andy Warhol sprach.

SW: Wie arbeitet ihr? Sucht ihr stundenlang im Netz nach passendem Material?

LG: Wir verbringen sehr viel Zeit im Internet. Wenn wir etwas Interessantes finden, laden wir es runter. Mittlerweile haben wir ein riesiges Archiv. Manchmal suchen wir auch gezielt. Wenn du bei YouTube „Mann tanzt mit Ski-Maske“ eingibst, findest du das auch. Man kann also frei ästhetische Entscheidungen treffen wie: Hier wäre doch eine Palme schön. Dann holt man sich bei YouTube eben eine Palme. Für „Tallahassee“ haben wir auch mit bestimmten Schlüsselwörtern gesucht. Wir wollten ja nur Material aus Florida.

SW: Warum Florida?

LG: In Harmonys Roman steht nirgendwo explizit Florida drin. Aber als ihn jemand fragte, wo der Roman denn spiele, sagte er Florida. Also entschieden wir uns auch dafür.

SW: Bei diesen US-amerikanischen Vorstädten, von denen ihr Bilder zeigt, hat man immer den Eindruck, unter der Oberfläche brodle es gewaltig. Dieses unheimliche Gefühl wird durch die von euch kreierten Sounds noch verstärkt. Da sind dumpfe Klangteppiche und am Computer bearbeitete Stimmen. Die ganze Atmosphäre hat mich an die Filme von David Lynch erinnert.

LG: Ja, David Lynch hat uns definitiv inspiriert. Hinzu kommt, dass diese Häuser, Parkplätze und Wohnviertel in Florida für uns natürlich etwas Exotisches sind, das macht das Material attraktiv. Die Wirtschaftskrise hat in Florida Spuren hinterlassen. Wir haben viele Filme von leeren Einkaufszentren und Straßenzügen gefunden. Armut war auch schon 1998 ein Thema hier, das vermittelt auch das Buch, und wir wollten eben die Entsprechung in der Gegenwart zeigen, sozusagen die Kehrseite von Sonne, Palmen und Celebritys, denen diese Teenager nacheifern.

SW: Das alles ist ja auch Thema in den Gemälden, die Teil der Serie „Tallahassee“ sind. Ihr arbeitet mit Siebdruck, Sprüh- und Acrylfarbe und kombiniert Stills mit abstrakten Farbspielen. Was war zuerst da? Die Videos oder die Bilder?

LG: Mit den Gemälden hat alles angefangen. Dafür haben wir YouTube-Stills benutzt. Mit der Zeit entstand eben dieses große Archiv mit Clips. Das hat uns erst darauf gebracht, auch Filme zu machen. Für die Gemälde der „Tallahassee“-Serie haben wir ebenfalls Stills aus Videos benutzt, die in Florida entstanden sind. Da tauchen Elemente auf, die man auch im Film sieht, ähnliche Häuser, Autos oder Chips-Tüten. Es gibt eben Bilder, die im Film besser aufgehoben sind, und andere, die auf den Gemälden stärker wirken. Uns sind aber beide Medien gleich wichtig.