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Zwischen Mensch und Maschine: Viktoria Binschtok im Gespräch 09/2014, Schirn Mag

Mit ihrer konzeptuellen Fotografie erforscht Viktoria Binschtok zeitgenössische Bildwelten. Gerdae ist in der Schau „Paparazzi!“ ihre Serie „Flash“ zu sehen. Wir trafen die Künstlerin in ihrem Berliner Studio zum Gespräch.

Schirn Maga­zin: Vikto­ria Binsch­tok, Sie arbei­ten gerade an der „Clus­ter Series“. Sie wird im Novem­ber auf der Messe Paris Photo und demnächst auch in verschie­de­nen Ausstel­lungs­häu­sern zu sehen sein. Darin tref­fen Würfel auf Mess­ge­räte, Spiel­zeug-Robo­ter auf Blumen­va­sen, bunte Pillen auf Fußball-Sammel­kar­ten. Wie kommen Sie auf diese Motive?

Vikto­ria Binsch­tok: Die Ideen zu diesen Moti­ven finde ich über Bild­such­ma­schi­nen. Ich speise ein Bild ein und der Algo­rith­mus sucht Bilder nach größ­ter Über­ein­stim­mung von Form, Farbe und weite­ren Para­me­tern. So finde ich zum Beispiel Doku­men­tar­auf­nah­men, Produkt­fo­to­gra­fien und viele Bilder von selbst­ge­mach­ten Dingen, die auf die stetig wach­sende Do-It-Yours­elf-Kultur verwei­sen. Die „Clus­ter Series“ ist eine Art Quer­schnitt durch die aktu­elle Bild­kul­tur. Ich selbst könnte mir die Motive so gar nicht ausden­ken. Es ist eine Koope­ra­tion zwischen Mensch und Maschine. Zwar setze ich meine Krea­ti­vi­tät ein, aber eben inner­halb der Restrik­tio­nen der ideen­ge­ben­den Bilder. Für die Suche verwende ich Foto­gra­fien aus meinem Archiv. Es sind Ausschluss­bil­der, also welche, die ich bisher künst­le­risch nicht verwen­det habe. Die Such­ergeb­nisse reinsze­niere ich dann, baue Settings nach, foto­gra­fiere sie ab und kombi­niere sie mit meinen Ausgangs­bil­dern zu Dipty­chen, Tripty­chen oder mehr­tei­li­gen Tableaux. Ich nehme mir die Frei­heit, die Bilder leicht zu verän­dern. Am Ende ist es für den Betrach­ter gar nicht mehr möglich und auch nicht wich­tig zu unter­schei­den, welches Bild zuerst da war.

SM: Wie präsen­tie­ren Sie diese Clus­ter?

VB: Ganz unter­schied­lich. Diese Entschei­dung zu tref­fen, ist ein wich­ti­ger Teil des Arbeits­pro­zes­ses. Beim „Black Clus­ter“ zum Beispiel gehe ich über die Bild­gren­zen hinaus und lasse die zentrale, sehr dunkle Aufnahme des nächt­li­chen Tokios in den Raum auslau­fen, indem ich sie in eine diffuse, schwarz gestri­chene Umge­bung einbette. Dadurch mache ich sie räum­lich erfahr­bar. Manche präsen­tiere ich skulp­tu­ral, zum Beispiel als mehr­schich­tige Foto­ob­jekte, andere als klas­sisch gerahmte Arbei­ten. Gemein­sam ist allen Präsen­ta­tio­nen, dass jedes Bild eines Clus­ters immer Bezug auf mindes­tens ein ande­res nimmt.

SM: Ist die Serie auch ein Kommen­tar auf das stetig und unkon­trol­lier­bar wach­sende Bild­ar­chiv, das uns im Netz umgibt? Auch das entsteht ja durch eine Koope­ra­tion von Mensch und Maschine, also program­mier­ter Compu­ter-Intel­li­genz.

VB: Man weiß ja, dass dieses Konvo­lut im Inter­net stän­dig wächst, dass immer mehr Bilder dazu­kom­men und zirku­lie­ren, aber man hat keine Vorstel­lung davon, wie das eigent­lich aussieht. Um einen Teil davon sehen zu können, braucht man ja immer Such­be­griffe oder, wie im Fall der „Clus­ter Series“, eben ein Bild. Mit meiner Arbeit mache ich im Grunde ein Inne­hal­ten sicht­bar, bevor die Zirku­la­tion weiter­geht. Würde ich meine Bilder­su­che eine Woche später durch­füh­ren, würde wahr­schein­lich alles ganz anders ausse­hen.

SM: Es ist span­nend, wie diese Methode Ihre künst­le­ri­sche Praxis beein­flusst. Plötz­lich foto­gra­fie­ren Sie nicht mehr nur, sondern fangen an, Dinge zu bauen.

VB: Für mich ist das neu, ich habe vorher nie insze­niert, sondern vor allem Bilder benutzt, die mir über den Weg gekom­men sind. So war es auch bei der Arbeit, die jetzt in der Ausstel­lung „Papa­razzi!“ in der SCHIRN zu sehen sind.

SM: Für „Flash“ haben Sie Film­stills aus einem Nach­rich­ten­vi­deo entnom­men. Zu sehen sind fast nur noch eine weiße Fläche und ein paar Umrisse, weil die Blitze der Foto­re­por­ter die Szene stark erhel­len. Ein Kommen­tar auf das media­ti­sierte Spek­ta­kel?

VB: Durch die vielen Blitz­lich­ter der Papa­razzi entsteht ein stro­bo­sko­pi­scher Effekt. Das, worum es dem Video­ma­cher eigent­lich geht, ist in diesem Moment fast ganz ausge­blen­det. Bei norma­ler Belich­tung würde man einen Promi sehen, der aus dem Restau­rant kommt und in eine Limou­sine steigt. Im Grunde ist das ja kein wich­ti­ges Ereig­nis. Erst durch die Aufmerk­sam­keit wird es zu einem. Das Licht ist sozu­sa­gen ein Stell­ver­tre­ter für diese über­höhte Aufmerk­sam­keit.

SM: Sie inter­es­sie­ren sich schon länger für im Inter­net entste­hende Bildäs­the­ti­ken und verknüp­fen diese mit Ihrer eige­nen Praxis. Für Ihre bekann­teste Serie „World of Details“ haben Sie Bilder aus Google Street View entnom­men und sind dann zu den Orten gefah­ren, um dort Details zu foto­gra­fie­ren. Wie kamen Sie darauf?

VB: Google Street View habe ich 2009 entdeckt. Mich hat es faszi­niert, virtu­ell durch New York spazie­ren zu können. Ich habe das dann näch­te­lang gemacht. Irgend­wann ist mir aufge­fal­len, dass einige Menschen die Kamera bemer­ken und zu ihr hinschauen. Solche Situa­tio­nen habe ich dann gesam­melt. Später hatte ich die Idee, zu den Orten zu fahren, wo die Leute von der unbe­mann­ten Google-Kamera erwischt wurden, um diesen Bildern etwas entge­gen­zu­set­zen.

SM: Sie haben dort Bilder gemacht, die stark im Kontrast zu den Google Street View-Aufnah­men stehen. Es sind genau durch­dachte Kompo­si­tio­nen; Licht, Ausschnitt, Farbe — alles stimmt.

VB: Auf den Foto­gra­fien sind meist Details zu sehen, die mir inner­halb dieser Szene aufge­fal­len sind. Manche Bilder zeigen stark vergrö­ßerte Ausschnitte des Refe­renz­bil­des, das wirkt fast so, als hätte ich in die Ursprungs­szene hinein­ge­zoomt, um mit der Kamera die Ober­flä­che abzu­tas­ten. Bei ande­ren habe ich etwas sicht­bar gemacht, was auf dem Ausgangs­bild nicht sicht­bar war. Auf einem konnte man zum Beispiel durch das Fens­ter eines Diners ein Paar sehen. Ich bin dann dort hinge­gan­gen und habe den Tisch foto­gra­fiert, an dem die beiden saßen. Ich wollte den Ort erkun­den, aber auch den Unter­schied zwischen dem zeigen, was die Maschine ohne zu denken aufnimmt, und dem von vielen Entschei­dun­gen gepräg­ten Prozess, mit dem ich als Mensch zu einem Bild­er­geb­nis komme.

SM: Ihr Werk mutet ein biss­chen wie ein Forschungs­pro­jekt an: Unter­su­chen Sie, wie die Foto­gra­fie und neue Foto-Tech­no­lo­gien die Alltags­kul­tur beein­flusst?

VB: Mich inter­es­siert es heraus­zu­fin­den, wofür Menschen Foto­ap­pa­rate verwen­den und was sie über­haupt für abbil­dungs­wür­dig halten. Ich kam lange nicht dazu, über­haupt eigene Bilder zu machen, weil ich viel zu sehr damit beschäf­tigt war, die Bilder, die ich jeden Tag über verschie­dene Kanäle sah, einzu­ord­nen und zu verste­hen. Deswe­gen war es logisch für mich, solche Bilder aus ihren Kontex­ten zu lösen. Die Arbeit an diesen Serien ist immer ein Prozess, und der bringt vor allem Erkennt­nisse über die Zeit, in der sie entstan­den sind.