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Studiobesuch: Joep van Liefland 08/2014, Schirn Mag

In der Ausstellung „Unendlicher Spaß“ hat Joep van Liefland alte Videokassetten zu einem klaustrophobisch anmutenden Raum verdichtet. Wir haben den Künstler in seinem Berliner Studio zum Gespräch getroffen.

Einst produzierte die Firma „Agfa“ hier Fotochemie und Laborausrüstung. Heute sind in der ehemaligen Fabrik im Berliner Ortsteil Rummelsburg Büros und Werkstätten untergebracht. Joep van Liefland ist der einer der wenigen Künstler, die sich hier ein Studio eingerichtet haben. Ein passender Ort, denn van Liefland setzt sich mit obsoleten Medien auseinander, zwar nicht mit der analogen Fotografie, aber mit VHS-Videokassetten. Ungleich kürzer als die des Rollfilms war die Epoche der in Plastik eingefassten Magnetbänder, die zum Speichern und Abspielen einer ganzen Ära Popmedienkultur dienten. Nicht minder faszinierend wirkt das Medium retrospektiv. Van Liefland nutzt es als Baustein und schafft damit mediennostalgische Kapellen. „Video Palaces“ nennt er sie, eine dieser Installationen mit dem Titel „Video Palace #36 – Shadow Hunter (Archive I)“ ist gerade in der SCHIRN zu sehen.

Aus Nostalgiegründen habe er sich nicht dafür entschieden, mit Videokassetten zu arbeiten, sagt der 1966 im niederländischen Utrecht geborene Künstler. Die heute so omnipräsente Mediennostalgie habe es Anfang der 2000er Jahre, als er seine ersten „Video Palaces“ entwarf, ohnehin noch nicht gegeben. Den ersten installierte er in einer alten Garage in Berlin Mitte. Die Arbeit war noch als richtige Videothek konzipiert, in der Leute Filme ausleihen konnten. Auf dem Boden flogen Bierdosen, Pappteller und Klopapierrollen umher, auf staubigen Regalen präsentierte er Videokassetten, in einer Ecke blinkte eine Leuchtreklame mit dem Schriftzug „Erotic Video“. Es sei schon klar gewesen, dass die Videokassette aussterben würde. Sie in Kunstwerken umzunutzen habe er aber eher als widerspenstige Geste verstanden, sagt van Liefland.

Damals interessierten den Künstler noch vor allem die Filme. Er produzierte auch selbst Videos und trat darin auf. „Ein Medium wird ein Teil von dir, es hinterlässt eine Art Abdruck,“ sagt er. Bei Video habe er das besonders intensiv erlebt. Er lag damals stundenlang auf der Couch und schaute Filme aller möglichen Genres zur Zerstreuung, zum Beispiel trashige Remakes aus dem Hollywood-Mainstream. In Berlin habe es viele Läden gegeben, in denen man Secondhand-Filme kaufen konnte, erinnert er sich, das sei billiger gewesen als sie auszuleihen. Er fing an, Videokassetten zu horten. Allmählich verschob sich sein Interesse dann von den Inhalten des Mediums hin zum Material.

Ein bisschen sieht es in van Lieflands Studio aus wie im Labor für antiquierte Videosysteme im Karlsruher ZKM. Dort werden alte Abspielgeräte gesammelt und Videokunstarbeiten restauriert. Im April präsentierte van Liefland bei der Kunstmesse Art Cologne den „Video Palace #38 – The revolutionary potential of the outmoded (Storage I)“. Jetzt steht er komplett aufgebaut hier. Es ist eine ganze Wand mit Regalen, in denen sich Videokassetten stapeln, außerdem klobige Röhrenfernseher, Videorecorder und Bedienungsanleitungen. In der Mitte steht ein Tisch mit Heimwerkerutensilien. Als Inspiration für diesen Arbeitsplatz machte er eine Stichwortsuche bei Google und nutzte die gefundenen Bilder als Vorlage. Eine mit Totenkopfstickern beklebte Vitrine, in der wohl jemand mal CDs oder Videokassetten aufbewahrte, hat der Künstler auch in die Installation integriert.

Von Medienarchäologie spricht van Liefland in Zusammenhang mit seiner Kunst nicht gerne, auch wenn dieser Begriff oft in Besprechungen seiner Werke auftaucht. Ähnlich wie ein Archäologe gräbt und sammelt er. Seine Grabungsstätten heißen Flohmarkt oder Internet, manchmal kauft er auch die Bestände alter Videotheken auf. Außerhalb seines Studios hat er noch zwei Lager gefüllt. Anders als ein Archäologe nutzt er die gefundenen Schätze assoziativ und kombiniert sie frei zu Installationen. Dabei ergeben sich ganz unterschiedliche Zugänge zu seinem Thema. In der begehbaren Installation, die jetzt in der SCHIRN zu sehen ist, hat man das Gefühl, sich in einer Zeitkapsel zu befinden. Deckenhoch hat van Liefland Videokassetten gestapelt und zu einem klaustrophobisch anmutenden Raum verdichtet. Die auf den Rücken der Kassetten gedruckten oder von Hand darauf geschriebenen Titel populärer, oft längst in Vergessenheit geratener Filme fügen sich zu zufälligen Trash-Gedichten zusammen. Es ist ein Archiv der langen Nächte im Heimkino, des Aufstiegs und Niedergangs der Videothekenkultur, der Verheißungen der Unterhaltungsindustrie.

Zwar handle es sich in gewisser Weise um ein Archiv, entgegnet van Liefland, aber eben um ein subjektives, das vor allem einer skulpturalen Ordnung folge. Die Neuinterpretation obsoleter Medien hat der Künstler zum Prinzip gemacht. Auch die über RGB-Kanäle ausgegebenen analogen Farbsignale haben es ihm angetan. Die im Röhrenfernseher bei genauerem Hinsehen zu erkennenden Längsstreifen hat er in rot, grün und blau am Computer imitiert und sie auf Fotopapier ausgedruckt, als nächstes will er sie per Siebdruck auf Leinwand bringen. Auf dem Tisch liegt der Bronzeabguss eines alten Mobiltelefons, es ist zum Medienfossil erstarrt. Am Ende fantasieren wir, was echte Archäologen wohl in ein paar tausend Jahren denken würden, wenn sie bei Grabungen auf die Überreste dieses Studios stießen.