KI, Pop & Glitch-Feminismus
Zum Werk der französischen Künstlerin Anaïs Goupy
Lilith taucht in alten Legenden als erste Frau Adams auf, noch vor Eva. Doch sie wird ihn verlassen. Sie ist nicht aus Adams Rippe geschaffen, wie sie sagt, sondern aus der gleichen Erde. Die erste Frau – eine Feministin. Anaïs Goupy hat Lilith in ihrer gleichnamigen Installation in die Gegenwart geholt. Projiziert als Hologramm auf Glas, tritt sie räumlich in Erscheinung, raus aus dem Internet und hinein in den Galerieraum. Sie ist ein Avatar mit dem Usernamen „@lilith_175“. Das Gesicht zeugt von einem weiblichen Ideal, das sich in den Bildern der digitalen Kultur herausgebildet hat: Katzenaugen, die Wangenknochen weit oben, die Lippen wie mit Helium aufgeblasen prall und glänzend. Liliths Haltung ist seltsam hölzern und gleichsam posierend für eine allgegenwärtige Kamera. Ihr enorm athletischer Körper, die rote Mähne und die spitzen Ohren, die daraus hervorstehen, zitieren aus der Rezeptionsgeschichte Liliths als Dämonin, die sich nicht so leicht in Kategorien einordnen lässt.
In Anaïs Goupys Werk finden sich mythologische Frauenfiguren wie Lilith ebenso wie deren popkulturelle Pendants der Gegenwart, etwa Kim Kardashian. Wie Lilith tritt Kardashian selbstbestimmt auf. Aus dem panoptischen, objektivierenden Blick auf ihren Körper schlägt sie selbstermächtigend Kapital. Symbol dafür ist ihr voluminöser Po. „Ich verbringe viel Zeit im Internet und lasse mich von der Internetkultur inspirieren,“ sagt Goupy. „Mich beschäftigt, wie Frauen dort, vor allem auf Social Media, repräsentiert sind. Wie sie sich zeigen, ist immer noch vom patriarchalen Blick bestimmt. Doch mich interessiert auch, wie Feminismus dort stattfindet – zwischen Popkultur und Marketing.“
Auf einem Gemälde aus der Serie „Felt Cute“, das Goupy bei einem Atelierbesuch in der Leipziger Baumwollspinnerei präsentiert, sind neben einem Büschel dunkler Haare zwei voluminöse rundliche Formen zu erkennen, die gleich an Kardashian denken lassen. Das Bild ist mehr fragmentarische Anordnung als Porträt. Über seine Fläche fliegen biomorphe Formen, umhüllt von etwas, das wie eine in Falten geworfene Stoffbahn anmutet. Es geht hier ganz offensichtlich um ein Körperbild, das sich schwer greifen lässt, das im Werden ist. Außerdem ist das Bild nur zum Teil Gemälde. Das Motiv wurde von einer KI generiert.
Der Titel der Serie bezieht sich auf den ironischen Slogan „Felt Cute Might Delete Later“ (in etwa: „Fand mich schön, werde das Bild später vielleicht wieder löschen“), der sich vor allem auf Instagram als Hashtag verbreitet hat und dort zahlreiche Selfies begleitet. Für ihre Serie hat Goupy auf Instagram hochgeladene Bilder, Porträts von Kardashian und anderen Netz-Ikonen, die Millionen von Likes erzielt haben, in einen KI-Algorithmus eingespeist und dazu noch einige Prompts eingegeben, also Anweisungen, wie das aus diesem Datensatz entstehende, neue Bild aussehen soll.
Die Ergebnisse, die normalerweise am Ende dieses generativen Prozesses stehen, sehen aus wie Fotos von real existierenden Personen. Doch Goupy hat den Prozess in dem Moment angehalten, in dem sich die neue Figur gerade erst zusammenzusetzt. „Es ist faszinierend zuzusehen, wie das Bild entsteht. Am Anfang ist da nur eine graue Textur, die an das erinnert, was man im Französischen ‚Schnee‘ (neige) nennt. Ähnlich wie das, was man von alten Fernsehern her kennt. Im Grunde sind das nur Pixel. Und dann treten daraus allmählich Formen hervor.“
Das Motiv hat Goupy in eine malerische Ästhetik überführt, die altmeisterliche und auch surrealistische Assoziationen erweckt. Auch diese hat sie mit Prompts beeinflusst. Die Pixel hat sie im Anschluss bearbeitet, geglättet, Ränder entfernt. Mit einer mit Acrylgel gemalten Schicht hat sie Textur auf die Leinwand gebracht, um dem Bild eine gestische, malerische Anmutung zu geben. Im Anschluss hat sie das KI-Motiv in einem speziellen Verfahren auf die bemalte Leinwand drucken lassen. Das Ergebnis ist ein Bild, das wie handgemalt aussieht, aber ein Hybrid aus gemaltem Bild und Druck ist. Goupy spricht von Trompe-l’œil. In der Logik der digitalen Kultur könnte man auch „Fake“ sagen.
Für Malerei hat sich Goupy schon immer interessiert, auch wenn diese an der Kunsthochschule in Nizza, wo sie studierte, als überholt galt. An der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo sie sich anschließend der Malerei widmen konnte, fand sie zu ihrer konzeptuellen Methode. Diese erlaubt es ihr, sich mit dem Porträt in einem Spannungsbogen vom Instagram-Selfie à la Kardashian bis hin zum Renaissance-Porträt auseinanderzusetzen, etwa in der Serie „Fakes“.
Während Gesichter in „Felt Cute“ abwesend sind, bilden sie in den „Fakes“ das zentrale Motiv. Doch diese Porträts haben keine Referenzen mehr. Denn die Gesichter, die sie zeigen, haben nie außerhalb der digitalen Welt existiert. Goupy hat dafür ebenfalls mit KI gearbeitet, nur bestand der eingespeiste Datensatz aus bereits zuvor in Zusammenhang mit „Felt Cute“ erzeugten Bildern. Ein bestimmter Schönheitskanon speist sich zumeist aus Bildern, die eine Gesellschaft produziert. Bei den „Fakes“ jedoch speist er sich aus den Bildern, die mittels KI produziert wurden. Aus den „Fakes“ geht gleichsam ein eigenes Ideal hervor.
Entrückt blicken die weiblich anmutenden Figuren an den Betrachtenden vorbei seltsam ins Leere. Doch noch irritierender als ihre Augen sind die Verzerrungen, die erst auf den zweiten Blick auffallen. An den Ohren hängen ohrringähnliche, merkwürdige Gebilde. Kleine weiße Schleier ziehen sich über die Gesichter. Solche Glitches sind oft im Hintergrund von KI-generierten Porträts zu sehen und verweisen auf die Präsenz der Maschine im kreativen Prozess. „Hier stimmt offenbar etwas nicht – dieser Moment hat mich interessiert,“ sagt Goupy. „Es könnte sich auch um einen Androiden statt um einen Menschen handeln.“
Schon bei den Bildern aus „Felt Cute“ liegt die Assoziation mit Glitches nahe, der Störung oder fehlerhaften Übertragung von Daten. Der Glitch stört das Paradigma der perfekten Oberfläche und öffnet der Kritik der digitalen Kultur eine Tür. Auch der „Glitch-Feminismus“ (Legacy Russell) verweigert sich der Ökonomie der makellosen Gesichter: Erst wenn Fehler ins Bild rücken, erscheinen Körper abseits ihrer Warenförmigkeit, in die sie der digitale Kapitalismus zwingt.
Das Schönheitsideal, für das Kardashian steht, ist produzierbar und reproduzierbar, es unterliegt einer ökonomischen Logik, in der Schönheit endgültig zur Ware geworden ist. Die digitale Kultur ist auch eine Ökonomie der „schönen“ Gesichter, die in Form von Bildern zirkulieren. Womit sich der Kreis zur Renaissance-Malerei schließt: Ein Beispiel dafür wäre Simonetta Vespucci, die aus Botticellis Darstellung der Geburt der Venus bekannt ist und als schönste Frau von Florenz galt, die also vielleicht so etwas wie die „Kim Kardashian der italienischen Renaissance“ war.
Die Glitches in den Arbeiten Goupys bieten Anknüpfungspunkte für eine cyberfeministische Umdeutung der im Digitalen reproduzierten patriarchalen Hegemonie. Sie markieren eine Schwelle, einen „glitschigen“ Übergang in einen kulturellen Zusammenhang, in dem die Bilder nicht primär durch ihre Beziehung zu dem definiert sind, was sie zeigen. Algorithmen errechnen visuelle Wahrscheinlichkeiten aus dem Konvolut, das zu ihrem Training eingesetzt wird. Und dieses speist sich aus einer vom patriarchalen Blick geprägten Bildwelt. Es wird also mehr und mehr darauf ankommen, was wir in die Maschine einspeisen.