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Kalter Krieg auf Arabisch 08/2021, TAZ

Im Beirut der 1960er Jahre treffen Hala Haddad, Huda Al-Wadi und Afaf Samra aufeinander. Die drei Frauen arbeiten für Verlage oder im eigenen Buchladen. In dem Fotoroman, in dem sie auftreten, werden sie in einen kulturellen Wettstreit verstrickt, der auf Buchseiten und Magazincovern ausgetragen wird: Im Kalten Krieg kämpfen die Sowjetunion und die USA um die ideologische Vorherrschaft in Nordafrika und dem Östlichen Mittelmeer.

Erdacht haben Sami Rustom, Omar Nicolas und Kenan Darwich vom künstlerischen Kollektiv Fehras Publishing Practices die Frauen, und sie schlüpfen auch gleich selbst in deren Rollen. Bärtig in bunt gemusterte Vintagekleider gehüllt geben sie vor detailverliebt gestalteten Kulissen Einblicke in den Kampf der Ideologien. Der sowjetische Verlag Progress importiert Lenin, Marx und Engels auf Arabisch, das Franklin Book Program entgegnet dem mit Übersetzungen US-amerikanischer Literatur.

Natürlich ist die Sache komplizierter, denn die Supermächte treffen auf bestehende ideologische Bewegungen im arabischsprachigen Raum, die ihrerseits verlegerische Strukturen und literarische Strömungen hervorbringen. Diese wiederum werden von Progress und Franklin mit Geld unterstützt und deren Netzwerke infiltriert. Eine komplexe Gemengelage, die der Fotoroman erstaunlich anschaulich macht.

Mit ihrem Langzeitforschungsprojekt „Borrowed Faces“ nehmen Rustom, Nicolas und Darwich derzeit am Berliner Förderprogramm Künstlerische Forschung teil. Es wurde 2020 von der Gesellschaft für künstlerische Forschung in Deutschland (gkfd) ins Leben gerufen. Sie führen die Ergebnisse aus mehreren Jahren Forschung in Archiven, hauptsächlich Beiruter, der 1950er und 1960er Jahre zusammen. Dafür stöberten sie in Bibliotheken, Memoiren und Verlagsnachlässen, führten Interviews und trugen Dokumente zusammen, scannten unzählige Seiten. In dem entstandenen Archiv decken sie Beziehungen und verschüttete Geschichten auf.

Die Gruppe gehört zum ersten Jahrgang der Stipendiat:innen. Mit einer Präsentation in den temporären Räumen des Programms im Haus der Statistik am Alexanderplatz und parallel in der Londoner Galerie Mosaic Rooms geben sie derzeit Einblicke in ihre Arbeit. Gerade entsteht ein neues Kapitel. Es dreht sich um zwei weitere Organisationen, die zeitgleich in den beschriebenen Wettstreit drangen.

Eine davon ist die 1958 geründete Afro-Asiatische Schriftstellerorganisation. Sie stand der Bewegung Blockfreier Staaten nahe und gab das Magazin „Lotus“ mit Übersetzungen afrikanischer und literarischer Literatur ins Arabische, Englische und Französische heraus. Unterstützt von arabischen Intellektuellen stärkte die Organisation das Verlagswesen im Globalen Süden und stellte sich der im Fahrwasser der kolonialen Befreiung erneut drohenden Aufteilung der Welt entgegen. Später wurde „Lotus“ selbst von der Sowjetunion vereinnahmt.

Der US-amerikanische Congress for Cultural Freedom (CCF) wiederum richtete Konferenzen aus und gab Kulturzeitschriften heraus, um Intellektuelle gegen den Kommunismus in Stellung zu bringen. Das 1962 vom CCF in Beirut gelaunchte Magazin „Hiwar“ wurde schon 1966 wieder eingestellt, nachdem bekannt wurde, dass sich der CCF aus Mitteln der CIA finanzierte.

Hala, Huda und Afaf treffen sich bald wieder, bei einem Kongress mit führenden arabischen Schriftsteller:innen, den der CCF Anfang der 1960er Jahre bedrängt durch die Popularität von „Lotus“ in Rom ausrichtete. In einer Videoarbeit thematisiert die Gruppe zunächst die Hürden der Forschungsarbeit: Der Zugang zum Archiv des CCF, das sich heute im Besitz der University of Chicago Library befindet, ist streng geregelt. So stehen die Archivboxen, mit denen Rustom, Nicolas und Darwich auf inszenierten Fotografien posieren, zunächst für die Ein- und Ausschlussmechanismen, die Archive produzieren und damit auch koloniale Hegemonien reproduzieren.

Einen Gegenentwurf hat die Gruppe auch in petto: Ihr eigenes Archiv hat sie digitalisiert und macht es per Verschlagwortungssystem zugänglich, zu dem Interessierte auch selbst Schlagworte hinzufügen können – derzeit noch in den Räumen in Berlin und London, künftig aber auch im Word Wide Web.

Es ist eines der wichtigsten Anliegen der künstlerischen Forschung, tradierte Methoden der Wissensproduktion infragezustellen. Mit dem Berliner Förderprogramm Künstlerische Forschung hat das Feld eine Institution bekommen, die mit Mitteln des Senats nun längerfristig planen kann. 30.000 Euro stehen jährlich für zwei Jahre Förderzeitraum zur Verfügung. Bewerben können sich Einzelpersonen oder Gruppen aller Disziplinen. Gerade läuft der Aufruf für die nächste Runde.

Die künstlerische Forschung in Archiven ist mittlerweile eine etablierte Praxis. Sie ermöglicht Künstler:innen den Eintritt in Prozesse der Historisierung und wird auch als eine Form des Widerstands gegen hegemoniale Ordnungen genutzt – bei Fehras Publishing Practices schon allein durch das Einführen queerer und weiblicher Charaktere, deren Stimmen in Archiven und historischen Erzählungen meist abwesend sind.