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Ist Putin zerbrechlich? 09/2022, TAZ

Dass ukrainische Künstler:innen zusammen mit russischen ausstellen, ist längst nicht mehr selbstverständlich. Der Intendantin des steirischen herbst ist das zur 55. Ausgabe des traditionell politischen Festivals gelungen. Ekaterina Degot ist selbst Russin, ihr Land verließ sie vor vielen Jahren. Schon im Sommer zeigte sie in einem Prolog zum Festival ukrainische und russische Filme. Jetzt sind auch Werke von Künstler:innen aus anderen Ländern – größtenteils aus dem postsowjetischen Raum – zu sehen. In Ausstellungen, Performances und Diskussionen setzen sie sich mit dem „Krieg in der Ferne“ auseinander, so lautet der Titel in diesem Jahr.

Doch der Krieg ist näher, als wir im restlichen Europa es glauben mögen, führt uns die Ukrainerin Zhanna Kadyrova gleich zu Beginn der Hauptausstellung in der Neuen Galerie vor Augen. Im Sommer sammelte sie in der Gegend um Kiew Teile von Zäunen und Dächern, die bei russischen Luftangriffen zerfetzt wurden. Nun stehen sie zu weiß lackierten Quadern und Pyramiden geformt vor dem Eingang zum Museum. Vom Grauen, das wir nur in Medienbildern erleben, zeugen lediglich die Löcher in den Skulpturen ihrer Serie „Harmless War“.

Für ihren theatralen Film „Undead“ kehrte die Georgierin Keti Chukhrov, die in Moskau im Exil lebt, begleitet von mehreren Schauspieler:innen in ein verlassenes Haus in Abchasien zurück, von wo aus sie einst floh. Dort setzen sie sich in einem poetisch-humoristischen Stück mit Einzelschicksalen in Folge des Georgisch-Abchasischen Krieges von 1992/93 auseinander. Der Tschetschene Aslan Goisum lässt für eine in der Historienmalerei inspirierten Videoarbeit 21 Männer, Frauen und Kinder allesamt in ein kleines Auto steigen, das in der weiten Landschaft steht. Dann fährt es los. Damit erinnert er an die Massenfluchten während der russisch-tschetschenischen Kriege in den 1990er und 2000er Jahren.

Flucht, das Auslöschen von Identitäten, Mobilmachung, Exil, Ohnmacht und Trauer werden auch in einer Reihe historischer Werke aus der Sammlung der Neuen Galerie thematisiert, die Degot und ihr Team in einer klugen Ausstellung mit den zeitgenössischen Arbeiten in einen Dialog bringen. So zeigen sie nicht nur auf, wie sich Geschichte wiederholt und dass auch der Krieg in der Ukraine nur in größeren historischen Zusammenhängen zu verstehen ist. Sie erkunden auch, wie eng Ästhetik und politische Realität zusammenhängen.

Denn so harmlos, wie Kadyrova in ihrem Rückgriff auf die Formsprache des Minimalismus ironisch kommentiert, ist die Kunst natürlich selten. „Kunst ist nie unschuldig“, wird sogar im Wandtext behauptet. Als Beweis dient der Gobelin „Steirischer Herbst“ des Künstlers und NSDAP-Mitglieds Fritz Silberbauer. 1939, ein Jahr nach dem „Anschluss“ Österreichs geschaffen, romantisiert er das bäuerliche Leben in der Steiermark. Gleich daneben steht eine goldfarbene Holzskulptur seines Parteifreunds Hans Mauracher: Zwei Männer tragen einen Stab mit Adler, an dem vorne eine nicht recht passen wollende Leier haftet – mit ihr wurde nach 1945 ein Hakenkreuz ersetzt.

Werke der beiden Nazikünstler Silberbauer und Mauracher tauchen in einer Videoarbeit Assaf Grubers wieder auf: In „Never Come Back“ begibt sich ein nackter Mann ins Depot der Neuen Galerie, blickt durch die käfigartigen Aufhängungen der Kunstwerke und spielt auf dem Akkordeon die Melodie des französischen Popklassikers „Voyage, voyage“, hinter der sich ein den Kolonialismus verherrlichender Text verbirgt.

Mit Gruber begibt sich die Ausstellung weiter auf die Suche nach Spuren musealer Gewalt in der Sammlung. Aus dem Depot wurden etwa Werke geholt, die einen exotisierenden Blick auf Menschen zeigen, Andere als minderwertig konstruieren. Ausgehend von der Erkenntnis, dass das feindliche Gegenüber erst entmenschlicht werden muss, um Gräueltaten zu ermöglichen, malte die Ukrainerin Kateryna Lysovenko eine Reihe zarter Mensch-Tier-Chimären auf schwarzem, tiefblauem und blutrotem Grund. Gefesselt am Boden liegend erinnern sie an die Kriegsverbrechen, die russische Soldaten unter anderem in Butscha begangen haben.

Die Russin Ekaterina Muromtseva hat für „A Tough Male Portrait“ einen Hobbymaler gefilmt, der leidenschaftlich ein großformatiges Porträt Putins anfertigt. Als Vorlage dient ihm eines jener Bilder, auf denen sich Putin als naturnaher Patriarch inszeniert. Oberkörperfrei kniet er vor einem Bach und lässt das Wasser durch die Finger rinnen. Mit seinem vollendeten Werk macht sich der Protagonist auf den Weg zum Kreml, um es Putin zum Geburtstag zu überreichen. Auf der Transportkiste, die er durch Moskau schiebt, steht groß und in rot „fragile“. Ist Putin angezählt? Bei aller Schwere bleibt die Kunst dieses steirischen herbst humor- und auch hoffnungsvoll. Am Ende von Muromtsevas Film ist zu lesen, dass sich ihr Protagonist nach dem brutalen Angriff auf die Ukraine von seinem Präsidenten distanziert hat.