Ein Franzose in der Fotografie-Abteilung des MoMA
Vor einem Jahr kam Quentin Bajac als Kurator für Fotografie zum Museum of Modern Art, noch bis Oktober ist dort seine erste Ausstellung zu sehen. Wir trafen ihn in New York zum Gespräch.
SW: Nutzen Sie die Foto-Sharing-App Instagram?
QB: Nicht persönlich, aber das MoMA hat ein Profil, das abwechselnd von uns Mitarbeitern bespielt wird. Vielleicht melde ich mich aber auch bald an.
SW: Wie verändern solche Formen der Amateurfotografie heute die künstlerische Praxis?
QB: Fotografie wandelt sich schnell, das liegt in ihrer Natur, und mit dem Internet ist ein ganz neues Terrain entstanden. Amateure haben Künstler schon immer beeinflusst. Bisher dauerte es aber meist sehr lange, bis Künstler Trends aufgriffen. Erst nach rund 30 Jahren entdeckten sie die Mobilität der kleinen Kodak für sich. Fast genauso lange dauerte es, bis sie sich der Farbfotografie zuwandten. Auch für die digitale Fotografie begeisterten sie sich erst eine ganze Weile nach ihrer Einführung. Soziale Medien wie Instagram nutzen Künstler schon jetzt, und ich bin mir sicher, dass daraus noch viele neue künstlerische Formen entstehen werden. Neben jungen Fotografen, die fast nur noch online arbeiten, gibt es aber auch jene, die ganz bewusst zum fotografischen Objekt zurückkehren, alte analoge Prozesse aufgreifen und das Bild regelrecht als skulpturales Medium verstehen.
SW: Wird die Amateurfotografie durch Plattformen wie Instagram wieder interessanter für Museen?
QB: Sie bleibt interessant. Das MoMA etwa hat sich schon immer für populäre Formen der Fotografie interessiert. 1944 wurde hier die erste Ausstellung mit Bildern von Amateuren gezeigt. Seit damals sammelt das MoMA auch Amateurfotografie, heute eher passiv, meistens schenken uns Sammler solche Bilder. Als John Szarkowski, der die Abteilung von den Sechzigern an bis Ende der Achtziger leitete, seine einflussreichen Bücher „The Photographer’s Eye“ (1966) und „Looking at Photographs“ (1974) veröffentlichte, gab es die Vorstellung von künstlerischer Fotografie, wie wir sie heute kennen, ja noch gar nicht. Amateurfotografie gehörte einfach dazu und ist nie wirklich aus Sammlungen und Schauen verschwunden.
SW: Auch für die Präsentation von Fotografie haben sich mit der Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten ergeben, nur werden sie von Museen bisher kaum genutzt.
QB: Im vergangenen Jahrhundert verfestigte sich die Idee, Fotografie müsse an der Wand hängen. Doch die digitale Revolution war ein riesiger Entwicklungsschub. Wir brauchen heute eine virtuelle Erweiterung für Ausstellungen, um neue Formen der Fotografie angemessen präsentieren und auch sammeln zu können. Ich denke da nicht nur an eine Webseite, sondern an ein digitales Museum. Denkbar wäre etwa digitale Arbeiten in Auftrag zu geben oder Künstler dazu einzuladen, selbst Online-Ausstellungen aus unserer Sammlung heraus zu kuratieren. Es wird aber nicht einfach, Konzepte zu entwickeln, die all den verschiedenen Anforderungen gerecht werden. Wir müssen ja berücksichtigen, dass zum Beispiel Fotografien von Edward Weston nicht nur Bilder, sondern vor allem physische Objekte sind. Das macht einen großen Teil ihrer Attraktivität aus.
SW: Sie haben vorher in Paris beim Musée d’Orsay und zuletzt am Centre Pompidou kuratiert, dann fragte das MoMA, ob Sie sich vorstellen könnten, nach New York zu kommen. Was hat Sie daran gereizt?
QB: Ich hatte schon länger den Wunsch, internationale Erfahrung zu sammeln. Und dann hat mich natürlich die Sammlung hier gereizt, die für Fotografie ja immer das Maß aller Dinge war und eine lange Geschichte hat. Sie wurde schon in den Vierzigern etabliert. Jahrzehnte lang war das MoMA die einzige Institution, die sich der Geschichte der Fotografie annahm, sie überhaupt erst schrieb. Anfangs war ich überrascht, dass gerade ein Europäer gefragt wurde. Die Abteilung hat eine starke US-amerikanische Tradition, sowohl was die Kuratoren als auch was die Sammlung betrifft. Fotografie wurde hier immer als US-amerikanisches Medium wahrgenommen. Die Aussicht, diese Geschichte in eine neue Richtung zu lenken, hat mich neugierig gemacht.
SW: Was haben Sie vor?
QB: Ich könnte mir keine bessere Zeit vorstellen, um hier anzufangen. Gerade wurde mit dem Bau eines weiteren Gebäudes begonnen. Es wird frühestens 2018 fertig gestellt, aber wir arbeiten jetzt schon an dem Programm für die neue Ausstellungsfläche. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, die Sammlung völlig neu zu organisieren. Bisher war sie streng nach Medien getrennt. Diese Struktur müssen wir aufbrechen, Malerei, Skulptur, Film und Fotografie mehr integrieren und zueinander in Beziehung setzen. Künstler wechseln heute ja auch oft zwischen mehreren Medien hin und her.
SW: Schon am Centre Pompidou haben Sie dieses Konzept verfolgt.
QB: Vielleicht wurde ich deswegen ausgesucht. Das Centre Pompidou präsentiert Kunst schon lange über mediale Grenzen hinweg. Ich habe dort zum Beispiel die Schau „La Subversion des images. Surréalisme, Photographie, Film“ ko-kuratiert. Zuvor wurde surrealistische Fotografie meist isoliert gezeigt, wir haben sie mit Film zusammengebracht. Auch am Musée d’Orsay habe ich mich für die Schnittstellen von Fotografie und Malerei, Film oder Skulptur interessiert. Fotografie spielt eine besondere Rolle, denn sie vermittelt zwischen all diesen Kunstformen.
SW: Als Leiter der fotografischen Abteilung entscheiden Sie mit, wie die Sammlung jetzt weiter wächst. Welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?
QB: Die fotografische Sammlung unterscheidet sich von den anderen des MoMA. Die der Malerei und der Skulptur setzen in den 1880er-Jahren ein, mit dem Post-Impressionismus und der Ankunft der Avantgarde. Dann sind da die Bestände moderner Architektur und Gestaltung. Fotografien sind dagegen schon aus der Zeit ihrer Erfindung in den 1840er-Jahren vertreten. Wir haben uns gefragt, ob wir überhaupt weiter frühe Fotografien sammeln sollen, schließlich sind wir ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Für mich stand schnell fest, dass wir einige ausgesuchte ikonische Stücke dazu kaufen sollten, gerade weil Fotografie so wichtig für die Geburt der modernen Kunst war. Der Schwerpunkt der Sammlung soll aber weiter auf dem 20. Jahrhundert liegen. Als John Szarkowski die Abteilung leitete, sammelte das MoMA vor allem US-amerikanische Fotografen wie Walker Evans. Das müssen wir jetzt ausgleichen und Lücken schließen, vor allem aus der Zeit der Zwanziger bis Sechziger Jahre. Schlüsselfiguren der modernen europäischen Fotografie wie August Sander, Alexander Rodtschenko oder Man Ray sind zwar vertreten, aber wir können den Anteil noch deutlich erhöhen. Wir haben zum Beispiel nur zwei Arbeiten der Futuristen und zwei Dada-Fotografien. Was die zeitgenössische Fotografie betrifft, müssen wir die Sammlung internationalisieren, und zwar nicht nur mehr westeuropäische und japanische Arbeiten ankaufen, sondern zum Beispiel auch welche aus Osteuropa, Lateinamerika, Indien oder afrikanischen Ländern.
SW: Was hat das MoMA schon angeschafft?
QB: Wir haben zum Beispiel „Analogue“ von Zoe Leonard gekauft, eine gewaltige Arbeit mit über 400 Farbfotos. Leonard fotografierte dafür Ansichten von Läden in New York, Afrika und dem Mittleren Osten, dokumentierte Spuren des globalen Handels. Es sind Aufnahmen einer alten Rolleiflex-Kamera, so kommentiert die Künstlerin auch den Tod der analogen Fotografie. Die Arbeit fügt sich wunderbar in die Sammlung hier ein, sie steht etwa in Beziehung zu Eugène Atgets Archivprojekt und ist ähnlich poetisch wie Arbeiten von Walker Evans aus den Zwanzigern und Dreißigern. In meiner ersten Ausstellung, die gerade hier zu sehen ist, „A World of Its Own: Photographic Practices in the Studio“, sind Fotografien des nigerianischen Künstlers J.D. Okhai Ojeikere zu sehen. Wir haben die Bilder aus seiner Serie „Hairstyles“ erst vor ein paar Monaten gekauft. Es ist eine Typologie traditioneller nigerianischer Frisuren. Auch diese Arbeit passt sehr gut in unsere Sammlung, die größtenteils Teil aus dokumentarisch-deskriptiven Bildern besteht.
SW: In dieser Ausstellung machen Sie die Geschichte der Fotografie über ein Thema zugänglich, es geht um das Künstlerstudio und wie darin Inszenierungen entstehen. Sie präsentieren Stücke aus der Sammlung frei, zeitgenössische Arbeiten hängen neben historischen, auch Filme sind dabei. Die übliche chronologische Erzählweise –von der Daguerreotypie zur digitalen Fotografie – vermeiden Sie.
QB: Ich finde chronologische Präsentationen langweilig. Auch die kommenden Ausstellungen will ich thematisch angehen, Arbeiten des 19. und 20. Jahrhunderts mit Gegenwartsfotografie in Beziehung setzen und immer auch Film- und Videoarbeiten zeigen. Das ist nicht revolutionär, auch wenn ich mich freue, dass die Presse hier meine Herangehensweise als innovativ auffasst. Möglich ist noch viel mehr.
SW: In der Reihe „New Photography“ stellte das MoMA bisher jedes Jahr Arbeiten vielversprechender junger Künstler vor. Was wird daraus?
QB: John Szarkowski launchte die Ausstellungsreihe 1985. Ich war überrascht, dass kaum jemand sie kennt, obwohl immer beeindruckende Namen auf der Liste standen. Im kommenden Jahr präsentieren wir die 30. Ausgabe. Bisher waren die Schauen sehr klein und auf nur einen Raum beschränkt, außerdem wurden vor allem US-amerikanische Künstler gezeigt. Ich möchte „New Photography“ deutlich vergrößern, eine Biennale mit internationalen Positionen daraus machen und mehr Formate integrieren, zum Beispiel Installationen und Künstlerbücher. Das Internet wird eine besondere Rolle spielen, wahrscheinlich werden wir einige digitale Arbeiten ausschließlich im Netz präsentieren.