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Bruchstellen zeigen 08/2018, TAZ

Sabrina Saase blättert in Dokumenten und Zines von Lesbengruppen der DDR aus den 1980er Jahren. Es geht um Lesbisch-Sein im Alter, um das Leben mit Kindern, aber auch um den vermeintlichen Antifaschismus im sozialistischen Staat. Als eine der Gruppen begonnen habe, Reisen nach Ravensbrück zu unternehmen, um im größten Frauenkonzentrationslager der Nazis den dort ermordeten Lesben und anderen Verfolgten zu gedenken, hätten auch Verhöre begonnen, erzählt sie.

Mit dem Kollektiv der „Raumerweiterungshalle“ macht Saase queer-feministische Kulturarbeit. Jetzt recherchiert sie bei der Robert-Havemann-Gesellschaft für das Projekt „Künstlerische Forschung im Archiv der DDR-Opposition“. Erdacht haben es die Künstlerin Elske Rosenfeld und die Kuratorin Suza Husse. 1990 vom Neuen Forum gegründet, beherbergt die Gesellschaft heute das größte Archiv der Oppositions- und Bürgerrechtsbewegung der DDR. Vor einem Jahr zog sie aus dem Prenzlauer Berg nach Lichtenberg, ausgerechnet auf das ehemalige Gelände des Ministeriums für Staatssicherheit, in jenen behördlichen Plattenbaukomplex mit langen Fluren und kleinen Büroräumen, in dem 7000 Hauptamtliche den Repressionsapparat organisierten.

Im September fiel der Startschuss für das Projekt. Noch sind die Beiträge Work-in-progress und die TeilnehmerInnen – darunter Henrike Naumann, die mit Installation und Video arbeitet, die Performancekünstlerin Nadia Tsulukidze oder die Gestalterin Elsa Westreicher – auf Schatzsuche im Archiv. Ein Kernbestand ist die Berliner Umwelt-Bibliothek, die ab 1986 im Keller der Berliner Zionskirche teils verbotene Bücher und Zeitschriften sammelte, etwa zu Umwelt- und Menschenrechtsthemen. Dann finden sich hier Nachlässe von Schlüsselfiguren der friedlichen Revolution, von Robert Havemann, Gerd und Ulrike Poppe oder Bärbel Bohley.

Neben Fotografien, Schriftgut und Audiomitschnitten sind auch 5000 VHS-Kassetten im Archiv, gefilmte Umweltverschmutzungen oder auch Privataufnahmen von Feiern. „Gerade wurden Gelder aus dem ehemaligen SED-Vermögen ausgeschüttet, über 800.000 Euro kommen uns jetzt für die Digitalisierung unserer Archivbestände zugute,“ erzählt Rebecca Hernandez Garcia, wissenschaftliche Mitarbeiterin. Hier mit KünstlerInnen zusammenzuarbeiten, ist neu für sie.

Saase und ihre Kolleginnen konzentrieren sich auf den Bestand GrauZone. Die Zeugnisse unabhängiger Frauen- und Lesbengruppen der DDR hat die 1962 in Ost-Berlin geborene Frauenrechtlerin Samirah Kenawi zusammengeführt. „Wir verfolgen einen intersektionalen Ansatz,“ sagt Saase. „Viele der Frauen starteten ihre politische Arbeit in der Friedensbewegung. Uns interessiert, wie sie die Gesellschaft verändern wollten, und auch wie sie sich in der Wendezeit engagierten. Etwa als sie sich von unten in die Runden Tische einbrachten. Da regte sich viel Protest.“

Initiatorin Elske Rosenfeld hat schon vor einigen Jahren hier recherchiert und stieß auf Videomaterial vom ersten Treffen des Zentralen Runden Tischs. Die Arbeit setzt sie nun fort, indem sie sich mit der Art und Weise beschäftigt, wie der unabhängige Filmemacher und Oppositionelle Klaus Freymuth die Situation filmte: „Er interessierte sich für Video als Mittel der politischen Arbeit. Noch zu DDR-Zeiten hatte er versucht, eine Medienwerkstatt aufzubauen, wurde daraufhin aber verhaftet.“

Ab November präsentieren Rosenfeld und die TeilnehmerInnen die Ergebnisse bei der Robert-Havemann-Gesellschaft und im Kunstraum District. Jene Dokumente, die in Ausstellungen zur Geschichte sonst Schlagwörter bedienen und als Agenten einer konservativen Didaktik auftreten, führen dann Bruchstellen vor, treten in postkoloniale und subkulturelle Diskurse ein. In ein einfach zu vermittelndes Narrativ lässt sich Geschichte eben nicht pressen.