Textarchiv

Zum Geburtstag eine Pistole 06/2014, TAZ

Mit einer Steampunk-Ausstellung feiert das Künstlerhaus Bethanien 40-jähriges Bestehen. Vertreter einer schrulligen Subkultur treffen dabei auf Kunstmarktlieblinge

Steampunks mögen keine Touchscreens. Sie finden Dampfmaschinen besser und tragen viktorianische Kleidung. Inspiriert vom 19. Jahrhundert, Science Fiction, Jules Verne und den Illustrationen zu dessen Abenteuerromanen hat sich eine eigene Ästhetik entwickelt, die sich in Musik, Mode, Design, Comics, Filmen und Artefakten ausdrückt. Beispiele sind jetzt im Künstlerhaus Bethanien zu sehen, etwa eine alte Pistole, an die Steampunker Alexander Schlesier Zahnräder und Messtechnik montiert hat. „Ghost Hunter Pistol“ nennt er sie. Daneben präsentiert das Bethanien Werke von Künstlern wie Panamarenko, Alicja Kwade oder Gregor Hildebrandt. Die sind zwar keine Steampunks, huldigen aber auch alter Technik. Hildebrandt wickelt Bänder von Audiokassetten zu riesigen Rädern auf, Kwade zerlegt Uhren zu Skulpturen, Panamarenko baut Modelle von Luftfahrzeugen. Vertreter einer schrulligen Subkultur treffen auf Kunstmarktlieblinge, Bindemittel ist eine Spielart des Digitalisierungspessimismus.

Das 40-jährige Jubiläum des Künstlerhauses Bethanien gibt den Anlass für die Schau „Das Mechanische Corps – auf den Spuren von Jules Verne“. In den Siebzigern nahm es mitten in der Westberliner Subkultur die Arbeit auf und widmete sich in Ausstellungen immer wieder verschiedenen Subkultur-Phänomenen. Heute ist es fester Bestandteil der florierenden Kunstszene, zu der Leute wie Kwade und Hildebrandt gehören. Man habe die eigene Geschichte weniger offensichtlich reflektieren und auch nicht die Künstler aufmarschieren lassen wollen, die in den 25 hauseigenen Studios zu Gast sind, erklärt Leiter und Kurator Christoph Tannert. Möglich wäre das schon gewesen. Die Aufbereitung der eigenen Geschichte hingegen hätte sich schwieriger gestaltet, denn sie ist vor allem mit einem Ort verbunden, der zehn Gehminuten entfernt liegt und zur Verwirrung vieler „Kunstquartier Bethanien“ heißt.

Noch bis vor wenigen Jahren war das Künstlerhaus in dem ehemaligen Diakonissen-Krankenhaus am Mariannenplatz zuhause. Nachdem das Krankenhaus 1970 ausgezogen war, kaufte das Land Berlin das Gebäude. Besetzer und Bürgerinitiativen retteten es vor dem Abriss, neben anderen Sozial- und Kulturprojekten siedelte sich das Künstlerhaus Bethanien dort an, verknüpfte Kunst, Theater, Literatur und Musik, lud Künstler wie Samuel Beckett, Andrej Tarkowskij oder Marina Abramović ein. Man habe etwas zwischen kommerzieller Galerie und Museum geschaffen, sagt Tannert. Mit Institutionen wie dem PS1 in New York sei das Bethanien damals eines der ersten Künstlerhäuser gewesen, heute gäbe es weltweit über 600.

Die Wende stürzte den Westen der Stadt und seine Kulturszene in eine Identitätskrise, überall entstanden Orte für Tanz, Theater oder Kunst, wie die Kunstwerke in der Auguststraße. Den gemeinsamen Mantel, der das Bethanien damals gewesen sei, habe plötzlich keiner mehr gebraucht, sagt Tannert. Als er 2000 das Ruder übernahm, beschloss das Bethanien, sich auf bildende Kunst und kuratorische Praxis zu konzentrieren. Fünf Jahre später wurden Teile des Hauses erneut besetzt. Attacken von links hätten die tägliche Arbeit massiv gestört, erinnert sich Tannert. 2010 folgte der Umzug in die ehemalige Lichtfabrik an der Kottbusser Straße. Große Fenster zur Straße hin geben Blicke auf die Ausstellungsräume frei – am Mariannenplatz waren sie in der Kirche im Hinterhof versteckt.

Das jüdische Brüderpaar Felix und Leo Israel hatte die Fabrik 1912 gebaut und sie 1933 bei ihrer Flucht vor den Nazis zurückgelassen. Demnächst entsteht an der Brandmauer des Gebäudes ein Wandbild, das auf die Geschichte des Hauses verweist: Ein isrealischer Künstler wird die Buchstaben der Namen der einstigen Fabrikbesitzer übereinander kleben, im Abstand einiger Wochen kommt je ein neuer dazu und löscht den alten symbolisch aus. Die linken Slogans und Graffitis drumherum bleiben, so behält auch die Kiez-Geschichte ihren Platz auf der Mauer. Erez Israeli heißt der Künstler, verwandt ist er nicht mit den einstigen Fabrikbesitzern. Auch das Kunstquartier Bethanien und das Künstlerhaus Bethanien teilen heute lediglich die gemeinsame Geschichte, zu der Erinnerungen wie die 1986 gezeigte Gastspielreihe „Butoh – die Rebellion des Körpers“ gehören. Der groteske japanische Tanz löste damals in Deutschland einen Boom aus. Mal sehen, ob bald überall Menschen in viktorianischer Kleidung auftauchen und mit Pistolen Geister jagen.