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Wenn Kunst auf höhere Gewalt trifft 09/2014, TAZ

Der Schinkel Pavillon ist Berlins bekanntester Projektraum. Trotzdem ist ungewiss, wie lange er sich finanziell halten kann. Thomas Hirschhorn zeigt dort an Bilder der Zerstörung

Thomas Hirschhorn steigt in Wanderschuhen durch ein Chaos aus zerknäulten Klebebändern, Schaumstoffplatten und Leitern. Er gibt seinen Assistenten Anweisungen auf Französisch und streicht rostrote Farbe auf ein Stück Pappe. Der Schweizer Installationskünstler baut im Schinkel Pavillon, dem wohl bekanntesten Berliner Projektraum, seine Arbeit „Höhere Gewalt“ auf. In wenigen Tagen wird es hier so aussehen, als wäre die Decke eingebrochen und als klaffe da, wo sonst ein schicker, die achteckige Form des Ausstellungsraums aufgreifender Kronleuchter hängt, ein ausgefranstes Loch.

Wie immer bei Hirschhorn wird das aber eher kulissenhaft aussehen. Noch lehnt an einer Wand ein Moodboard. Darauf sind von Naturkatastrophen zerstörte Häuser zu sehen und welche, in die Bomben riesige Krater geschlagen haben. Sogar ein Zeitungsausschnitt mit dem Bild eines im Irakkrieg zerstörten Palasts Saddam Husseins dient Hirschhorn zur Inspiration.

Gehämmert und gesägt wird auch draußen. Durch die Glasfassade des Pavillons blickt man auf den Fernsehturm und die Friedrichswerdersche Kirche, aber auch auf Baugruben, Kräne und Container. Rings um das architektonische Juwel, in dem Erich Honecker einst Cocktailpartys feierte, entsteht Berlins glamouröse historische Mitte, unweit des Boulevards Unter den Linden.

Gleich neben dem Schinkel Pavillon werden luxuriöse Wohnhäuser hochgezogen. Auf der anderen Seite steht das Kronprinzenpalais. Dort zeigte seit 1919 eine Abteilung der Nationalgalerie die „Galerie der Lebenden“, frisch aus den Ateliers der Expressionisten gelieferte Kunst, bis die Nazis sie in den Aktionen zur Beseitigung „entarteter Kunst“ beschlagnahmten, verbrannten oder ins Ausland verkauften. Das war das erste Museum für zeitgenössische Kunst weltweit und diente dem New Yorker Museum of Modern Art als Vorbild. Ende der sechziger Jahre rekonstruierte der Architekt Richard Paulick den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bau und setzte mit dem Pavillon einen Hybriden aus Spätklassizismus und moderner Architektur in den Garten.

Als im Schinkel Pavillon in den 2000er Jahren die ersten Ausstellungen gezeigt wurden, lag ein Teil der Gegend noch brach. Nach der Wende hatte sich erst mal niemand für den kapriziösen Bau interessiert. Heute ist er ein Ort für die Produktion hochkarätiger zeitgenössischer Kunst, über den man selbst in New York spricht. Mit gerade mal knapp 100 Quadratmeter Ausstellungsfläche so viel Aufmerksamkeit zu erregen ist eine kleine Sensation. Bei Eröffnungen quetschen sich um die 2.000 Besucher um die Kunst herum. Mit Talks, Happenings, Konzertabenden und in kurzen Zyklen gezeigten Schauen hält die Macherin Nina Pohl, die selbst Künstlerin ist, den Ort lebendig.

Künstler aus der ganzen Welt klopfen an, weil sie mal hier ausstellen wollen. Das liege daran, dass der Ort historisch so spannend aufgeladen sei, sagt Pohl, aber auch an der exzentrischen Architektur. Viele Künstler langweile der „White Cube“, also der isolierte weiße Ausstellungsraum, heute einfach.

Irgendwie folgerichtig, dass Thomas Hirschhorn ihn jetzt dekonstruiert. Das ist etwas, das den 1957 in Bern geborenen und in Paris lebenden Künstler seit Neuestem ziemlich reizt. Bei der Kunstschau Manifesta in St. Petersburg ist gerade Hirschhorns Arbeit „Abschlag“ zu sehen, eine herabgestürzte Fassade, die das Innere eines mehrstöckigen Hauses offenlegt.

„Höhere Gewalt“ hat Hirschhorn speziell für den Schinkel Pavillon entworfen. Vor ihm bespielten schon Künstler wie Mike Kelley, Isa Genzken oder Camille Henrot den kleinen Raum mit ortsspezifischen Skulpturen und Installationen. Mit den meisten Künstlern, die Pohl zeigt, ist sie befreundet. Sie überlege sehr genau, wer mit dem exzentrischen Raum umgehen und ihm etwas entgegensetzen könne, sagt Pohl und fragt neben etablierten Künstlern auch Newcomer.

Auch die unmittelbare Umgebung wird hin und wieder zur Bühne. Cyprien Gaillard etwa ließ mehrere Bagger in einer Baugrube nebenan zu eigens dafür komponierter Musik eine Choreografie aufführen. Sie tanzten in einer Wolke aus pinkem Rauch und kommentierten so die Bauwut der Investoren.

Zimperlich geht Hirschhorn nicht mit dem Raum um. Mit dem Publikum auch nicht. Aus dem falschen Deckenloch wird Füllmaterial quellen, unter anderem kopierte Seiten des 1970 erschienenen Romans „Zettels Traum“ von Arno Schmidt. Es ist ein postmodernes Opus mit experimenteller Struktur und eigentümlicher Orthografie, das sich auf über 1.300 Seiten erstreckt. Der Leser muss sich regelrecht durchquälen. In seiner Form erinnert der Roman etwas an Hirschhorns Arbeiten: Auch sie sind oft monumental, eigensinnig, schwer durchdringbar. Das Buch stehe für totale Kompromisslosigkeit, was den Leser betreffe, sagt Hirschhorn und gestikuliert mit farbverschmierten Händen, es gehe nicht ums Verstehen, sondern darum, eine Erfahrung zu machen.

Eigentlich sollte Hirschhorn den Schinkel Pavillon schon früher mit seiner Idee bespielen. Doch die Schau musste verschoben werden, weil sie nicht finanziert werden konnte. Das Geld kam schließlich doch zusammen, durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, eine Baufirma und einen privaten Sammler. Hirschhorns Scheinzerstörung des Baus könnte man auch als dystopische Metapher lesen: Der Verein hangelt sich mit Not von Projekt zu Projekt, wie lange er von Pohls Engagement und dem ihrer Mitstreiter noch getragen werden kann, ist ungewiss. Die Grafikdesigner und das Pressebüro arbeiten ohne Bezahlung, um das Projekt zu unterstützen.

Ein bisschen was kommt über die Mitglieder des Vereins zusammen. 2013 erhielt der Schinkel Pavillon die vom Senat ausgelobte und mit 30.000 Euro dotierte Auszeichnung für Berliner Projekträume. Mehrfach wurden die Schauen schon vom Hauptstadtkulturfonds gefördert. Doch Pohl hofft auf eine feste jährliche Förderung durch den Senat. 150.000 Euro pro Jahr würden reichen, um das Programm zu sichern. Größere Häuser verfügen oft selbst für einzelne Ausstellungen über höhere Summen.

Mit Pohl stemmt Nele Heinevetter seit drei Jahren das Programm. Die Kunsthistorikerin hat außerdem die Agentur „Niche“ mitgegründet, die Kunstinteressierte zu den Projekträumen der freien Berliner Szene führt. Solche Orte würden in der Stadt immer rarer, sagt Pohl. Dass es den Schinkel Pavillon überhaupt noch gebe, sei ein Wunder, immerhin läge er mitten in einer Investoren-Keimzelle.

Das Draußen und das Drinnen korrespondieren bei der Hirschhorn-Schau noch augenscheinlicher als sonst. Den Besuchern, die sich mal wieder durch Staubwolken den Weg zum Eingang bahnen müssen, wird das nicht entgehen. Für November plant Pohl eine Benefizauktion, das sei jetzt erst mal der Rettungsanker, sagt sie. Versteigert werden Werke von Künstlern, die mal im Schinkel Pavillon ausgestellt haben und von anderen, die sich einfach für den Ort engagieren wollen. Der Aufwand für eine solche Auktion ist riesig, ob sie so viel abwirft, dass es für eine Weile reicht, ist ungewiss.