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Volksempfänger spielen auf 11/2013, TAZ

Von Kampfkunst zum Kunstkampf: Die Neue Nationalgalerie holt unter dem Titel „Ausweitung der Kampfzone“ Werke von 1968 und 2000 aus dem Depot.

In einem Video von Keiichi Tanaami explodieren Bomben. Katharina Sieverding bannt Beamte der deutschen GSG 9-Terroreinheit in sattem Pink auf Fotopapier. Eine überdimensionale Leinwand von Andy Warhol gibt sich in Tarnfarben. In einer Neonröhrenskulptur von Bruce Nauman blinkt die Buchstabenfolge „W A R“ auf. Das 20. Jahrhundert war eines der Kriege, das macht auch eine Zeitreise durch die Kunstproduktion deutlich. Die Neue Nationalgalerie gibt mit „Ausweitung der Kampfzone“ Einblick in die hochkarätige Berliner Sammlung, es ist der dritte Teil einer Präsentation. Platz für eine Dauerausstellung gibt es nicht.

Ein paar zwischen 1968 und 2000 entstandene Werke konnten jetzt den Staub abschütteln und das Depot verlassen. Dass da politisch engagierte Kunst zu sehen ist, überrascht nicht, das entspricht dem Selbstverständnis eines Großteils der zu dieser Zeit aktiven Künstler. Besonders sei aber, dass die gesamte Sammlung des 20. Jahrhunderts über außergewöhnlich viele politisch relevante Arbeiten verfüge, sagt Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie. Das hätten auch schon die Ausstellungen „Moderne Zeiten“ und „Der geteilte Himmel“ gezeigt, die Werke aus den Jahren 1900 bis 1968 präsentierten. So politisch wie in Berlin habe man hierzulande wohl sonst nirgendwo gesammelt.

Heute scheint es ein bisschen so, als sei diese politische Kunst in der Schleife ihrer eigenen Geschichte gefangen. Als müssten sich die Exponate als Spiegelbilder gesellschaftlicher Umbrüche beweisen und ihr aktivistisches Potenzial zur Schau stellen. Auch wenn die Kuratoren zugunsten thematischer Cluster auf eine chronologische Präsentation verzichtet haben, mutet die Ausstellung ein bisschen wie ein Parcours für Schulklassen an, Schlüsseldaten wie die Mondlandung inklusive. Besucher können sich aber auch einfach querfeldein berieseln lassen und zum Beispiel entdecken, wie erfrischend unbefangen sich internationale Künstler mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen.

Der US-Amerikaner Edward Kienholz etwa sammelte auf Berliner Flohmärkten Volksempfänger, Radios, die Joseph Goebbels für die Verbreitung der nationalsozialistischen Propaganda massenhaft produzieren ließ. Aus den Fundstücken entstand die raumgreifende Installation „Volksempfängers“. Tritt der Besucher auf eines der an die Geräte angeschlossenen Pedale, ertönt Richard Wagners „Walkürenritt“. Gegenüber eines zerstörten Volksempfängers steuert ein Mercedes-Lenkrad auf die Wohlstandsära zu. Kienholz schreibt Geschichte in Produktsymbolik fort.

Auch der eine oder andere Schatz aus den ostdeutschen Beständen der Sammlung hat einen der raren Plätze ergattert. Wolfgang Mattheuers Gemälde „Ausgezeichnete“ zeigt eine Heldin der Arbeit, die apathisch auf einen Tulpenstrauß starrt. Einsamkeit statt Kollektiv: In der DDR vollzogen sich Kämpfe vor allem im Inneren. Die „Neuen Wilden“ aus dem Westen dagegen machten Furore auf der Leinwand. Rainer Fetting etwa ließ einen mit schnellen Pinselstrichen gemalten Vincent van Gogh die Berliner Mauer besprühen.

Im eigenen System zeigte sich die Kunst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts besonders kriegerisch. Künstlerinnen erkämpften sich ihren Eintritt in die Kunstgeschichte. Performancekunst, Konzeptkunst, Videokunst, Fotografie und Installation fuhren Geschütze gegen die Malerei auf. Und dann war da noch der Feldzug gegen das Museum. Joseph Beuys installierte 1977 seine „Richtkräfte für eine neue Gesellschaft“ bewusst im Foyer der Neuen Nationalgalerie, Kunst sollte außerhalb des Schauraums soziale Umformungskräfte aktivieren. Jetzt stehen die beschriebenen Schiefertafeln wieder im Foyer, nicht wirklich drinnen, aber auch nicht wirklich draußen.

Man ahnt, was auf dieser Schwelle passiert ist: Die Kunst hat eine Kehrtwende gemacht und  sich in die sichere Mitte ihres Systems zurückgezogen. Bemühungen, ihr die politische Sprengkraft zurückzugeben, wie die von Artur Żmijewski bei der Berlin Biennale 2012, sind zum Scheitern verurteilt. Gerangelt wird heute am Markt und die Malerei ist an vorderster Front dabei. Erst vergangene Woche versteigerte Christie’s in New York das Triptychon „Three Studies of Lucian Freud“ von Francis Bacon aus dem Jahr 1969 für die Weltrekordsumme von rund 106 Millionen Euro, kurz davor hatte Jeff Koons den deutschen Maler Gerhard Richter als teuersten lebenden Künstler abgelöst.

Zumindest Koons und Richter fehlen auch in der Berliner Schau nicht. Ein von Koons zur Skulptur erklärter Staubsauger steht dort zwischen bunten Punkten von Damien Hirst und einer monumentalen Fotoarbeit von Andreas Gursky. Alle drei sind Kunstmarkt-Schlager. Am Ende des 20. Jahrhunderts hat der Neoliberalismus die Kunst vereinnahmt, so auch der Kommentar des Ausstellungstitels. Er bezieht sich auf einen Roman Michel Houellebecqs, der seine Protagonisten in einer neoliberalen Welt vereinsamen und verzweifeln lässt.

Die Kost ist mitunter schwer. Trotzdem und gerade deswegen wäre es schön, noch mehr davon zu sehen. Ende 2014 wandern die Werke erstmal zurück ins Depot. Das tut niemandem gut, nicht den Werken, nicht den Künstlern, nicht Berlin. Auch, um auf den räumlichen Notstand hinzuweisen, habe man diese Trilogie konzipiert, sagt Kittelmann. Ob die Stadt ihre Tate oder ihr MoMA bekommt, ist ungewiss. Die Politik ist am Zug.