Textarchiv

Seid ungehorsam! 02/2013, Transmediale-Blog

User sollen Medien neu erfinden, so wie Jimi Hendrix einst die E-Gitarre. Die transmediale ruft mit drei Schauen zur Revolution auf

Im Jahr 1984 strahlte Apple während des Super-Bowls, dem größten Fernsehereignis der USA, einen Spot zur Markteinführung des ersten Macintosh Personal Computers aus. Regie hatte Ridley Scott (Blade Runner) geführt. Mit einem großen Hammer bewaffnet stürmt eine Athletin verfolgt von Sicherheitskräften durch dunkle Hallen. Sie gelangt in einen Saal, in dem kahl rasierte Menschen vor einem riesigen Bildschirm sitzen und Big Brother zuhören, eine Adaption von George Orwells Roman 1984. Sie schleudert den Hammer auf den Bildschirm, dieser berstet in einer Explosion aus Licht. Der Abbinder verspricht: „Am 24. Januar stellt Apple Computer Macintosh vor. Und Sie werden sehen, warum 1984 nicht wie 1984 sein wird.“

Von selbstbestimmtem Umgang mit Computern kann angesichts des Apple-Imperialismus heute kaum die Rede sein. Doch der Revoluzzer-Geist, den die Athletin und Schauspielerin namens Anya Major in diesem Spot verkörpert, kann Vorbild dafür sein, glaubt Jacob Lillemose, Kurator der Ausstellungen der transmediale 2013. „The Miseducation of Anya Major“ lautet der Titel der dreiteiligen Schau, ein Ausstellungstriptychon mit didaktischem Anspruch. User sollen das am Medienmarkt vorherrschende Lehrer-Schüler-Verhältnis aufbrechen, sich Software aneignen und neu erfinden wie Jimi Hendrix einst die E-Gitarre, Tools kreativ nutzen, hacken, experimentieren, kurz: ungehorsam sein.

Inspiration soll die Medienkunst liefern. Unter dem Titel „Tools of Distorted Creativity“ hat Lillemose zeitgenössische Positionen versammelt, die mal auf heitere, mal auf provokative Weise in den alltäglichen Software-Trott eingreifen. Mit ihrer Arbeit „Suicide Letter Wizard for Microsoft Word“ etwa persifliert Olga Goriunova den Briefassistenten des Textverarbeitungsprogramms, der verspricht, das Leben einfacher zu machen. Es ist eine Software, die Usern Templates für den perfekten Abschiedsbrief bietet. Alexander Galloway von der Radical Software Group (RSG) verweist mit „Carnivore“ auf Machtstrukturen im Cyberspace, den gläsernen User und auf dessen Potenzial, solche Machtverhältnisse umzukehren. Kurz nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 hatte die US-amerikanische Ermittlungsbehörde FBI ein System namens Carnivore ins Netz geschleust, um die gesamte Internetkommunikation in den USA zu überwachen. RSG stellte darauf hin eine eigene Version mit den gleichen Features vor, die sich allerdings der Überwachungslogik entzieht, indem sie zum Beispiel nicht auf Keywords reagiert.

Mit dem Evil Media Distribution Centre reagiert das britische Duo YoHa, eine der führenden Künstlergruppen im Bereich der Medienkunst bestehend aus Matsuko Yokokoji und Graham Harwood, auf ein medientheoretisches Buch von Matthew Fuller und Andrew Goffey, in dem sie Aufmerksamkeit auf die Schattenseiten von Medien wie Suchmaschinen oder Datenbanken lenken. Yokokoji und Harwood luden knapp 50 Autoren dazu ein, ein „böses Medium“ auszusuchen und darüber zu schreiben.

Herzstück der Ausstellungen ist die Retrospektive zum Werk der US-amerikanischen Künstlerin Sonia Landy Sheridan. Sie gehörte in den 1960er und 1970er Jahren zu den Ersten, die neue Technologien in einen künstlerischen Kontext überführten und sie für die Erweiterung der Wahrnehmung nutzten. Unter dem Titel „Imaging with Machine Processes. The Generative Art of Sonia Landy Sheridan“ wird ihr Werk erstmals in Europa gezeigt. Es sei ein Paradebeispiel für den emanzipatorischen Umgang mit Medientechnologie, schwärmt Lillemose.

Als im Jahr 1968 der erste kommerzielle Farbkopierer der Firma 3M auf den Markt kam, in einem Artikel des Magazins Spiegel von damals als geheimnisvolle, die Bürotechnik revolutionierende „Farben-Truhe“ gefeiert, eignete sich Sheridan die Technik an, kopierte Blumen, Sandwiches und sich selbst. Noch heute beeindruckt die satte Farbigkeit. Sie experimentierte wild, nutzte neben Papier auch Textilien und fügte Kopien zu größeren Arbeiten zusammen. Eine Textilarbeit von 1974 zeigt einen lebensgroßen Akt einer ihrer Studentinnen, zusammengesetzt aus Fragmenten der einzeln kopierten Körperteile.

Sheridans Werk spiegelt die Themen und Ästhetiken der US-amerikanischen Avantgarden ihrer Zeit, der Pop Art, der feministischen Kunst, der Konzeptkunst und der psychedelischen Underground-Bewegung, erinnert aber auch an die Experimentierfreude von László Moholy-Nagy, mit der er am Bauhaus Dessau schon in den 1920er Jahren Schüler:innen animierte. Als Dozentin am Art Institute of Chicago entwickelte Sheridan das Lernprogramm Generative Systems, in dem auch sie ihre Studenten dazu ermutigte, Maschinen experimentell zu nutzen. Für ihre Versuche verwendete sie diverse Technologien, ab den 1980er Jahren generierte sie komplexe Bildwelten mit dem Computer. Bis heute entstanden mehr als 50.000 Arbeiten, die mittlerweile 87-Jährige ist immer noch aktiv.

Dass Apple einst zur Revolution gegen mediale Gleichschaltung aufrief, zu Werbezwecken versteht sich, denn der Konzern musste sich damals gegen den übermächtigen Wettbewerber IBM positionieren, ist heute kaum zu glauben. Was uns Medienkonzerne wie Apple, Microsoft oder Adobe vorsetzen, konsumieren wir dankbar, Tools wenden wir artig an. Ein bisschen Revolution à la Major und Sheridan kann sicher nicht schaden.

Artikel im Transmediale-Blog