Textarchiv

Sehnsuchtsprojektionen vom Hindukusch 08/2011, Traffic

Als das Telefon klingelt, rechne ich schon gar nicht mehr mit Daniel Richter. Das Sommerloch hat sämtliche Künstler verschluckt. Auch Richter, der sich mit Neo Rauch die Spitze des Olymps der zeitgenössischen deutschen Malerei teilt, ist bis zur Eröffnung seiner Ausstellung „10001nacht“ in der Kestnergesellschaft verreist. Er ruft vom Kopenhagener Flughafen aus an, kurz bevor er in den Flieger steigt.

SW: Du bist auf dem Weg in die Arktis. Ist das eine Art Selbstfindungstrip, eine Inspirationsreise oder einfach nur ein Ausflug raus aus dem urbanen Wahnsinn?

DR: Urbaner Wahnsinn? Was soll denn das sein? Kenne ich nicht. Ich wüsste auch nicht, in welcher deutschen Stadt ich den erfüllt finden sollte. Es ist tatsächlich eine Expeditionsreise. Einfach nur eine Forschungsreise, an der ich teilnehme. Eine geologisch-archäologische, klimaforschende Reise der Dänischen Akademie der Wissenschaften.

SW: Dieses Interesse hegst Du schon länger?

DR: Ich wurde eingeladen, dabei zu sein. Aber ich habe wie jeder andere auch Interesse daran, was eigentlich mit Mutter Erde los ist.

SW: Als ich die Bilder gesehen habe, die Du gerade für die Ausstellung in der Kestnergesellschaft gemalt hast, musste ich auch sofort an die Arktis denken. Gibt es da eine Parallele?

DR: Die gibt es insofern, dass die Bilder zu einem gewissen Teil in Gebirgen spielen und weiß sind. Sie sind reduziert auf Linie und Helligkeit, da denkt man natürlich an Schnee und Kälte und an die Arktis. Aber das ist Zufall.

SW: Du bist von Hamburg nach Berlin, wieder nach Hamburg und dann doch wieder zurück nach Berlin gezogen. Stimmt das so?

DR: Ja.

SW: Was hat Berlin, was Hamburg nicht hat?

DR: Hamburg hat mehr Geld und weniger Platz. Hamburg ist langweilig. In Berlin ist es nicht so langweilig, dafür ist es aber wahnsinnig hässlich. Wahnsinnig hässlich. Das gefällt mir aber. Von mir aus hätte man den Palast der Republik ja schon aus ästhetischen Gründen stehen lassen müssen. Jetzt baut man da dieses erbärmliche alte Berliner Stadtschloss wieder nach.

SW: In Hamburg hast Du das von Künstlern besetzte Gängeviertel erfolgreich mit verteidigt. Auch in Berlin greift die Gentrifizierung um sich, Investoren erobern die Stadt und der Immobilienmarkt bestimmt, wo’s lang geht. Bist Du hier auch engagiert?

DR: Nein, bin ich nicht. Und dazu muss ich auch sagen, dass der Gentrifizierungsprozess in jeder Großstadt dazugehört. Genauso gehört es dazu, dass sich Leute dagegen wehren. Hamburg war eben ein Spezialfall, weil die ganze Innenstadt nur noch aus H&M, Zara, Wolford und Apple bestand. Es war ein geradezu konservativ unterfütterter Protest. Das ist in der Form in Berlin gar nicht möglich. Leute, die aus Kreuzberg wegziehen müssen, weil es zu teuer wird, werden im Rest der Stadt überall billige Mieten finden. Das ist mir in Berlin also ehrlich gesagt egal.

SW: Du kommst aus dem linken Milieu, hast früher selbst Häuser besetzt. Jetzt bist Du berühmt und reich. Hat das nicht zu einer Art Schizophrenie geführt?

DR: Die gesamte Hamburger Subkultur, gerade die autonome, war praktisch in und um besetzte Häuser  organisiert. Es gab einfach irre viel Verfall und Bedarf nach billigem Wohnraum. Zu einer Schizophrenie hat das nicht geführt, zumindest ist mir keine an mir aufgefallen. Gestern hatte ich auch noch keine grauen Haare. Jetzt habe ich die ersten, aber das hat auch nicht dazu geführt, dass ich mich schlechter fühle.

SW: Kommen wir auf Deine Arbeit zu sprechen. Für die erste Ausgabe von „Traffic“ hast du schon mal ein Interview gegeben und gesagt, ein Künstler wolle in einem Kunstwerk seine Gedanken umsetzen. Welche Gedanken bewegen Dich zurzeit?

DR: Habe ich das so gesagt? Wahrscheinlich wurde das verkürzt wiedergegeben. Gedanken sind ja meist Dinge, die, wenn sie zur Sprache kommen, eben zur Sprache kommen. Was mich zurzeit bewegt? In den vergangenen Jahren hat mich so eine Verzahnung aus romantischer Männermalerei, Heldentum, Taliban, Nomaden, Paschtunen, Scheherazade und so was interessiert. Eine Art paradigmatisches Bild, das mich selbst irgendwie antriggert. Andererseits ist das auch ein in der Öffentlichkeit präsenter Entwurf, wenn auch eher unterbewusst. Verschiedene romantische Klischees gehen durcheinander und prägen unsere Vorstellung von Helden und Opfern. Das ist aber eher so eine Ahnung als ein konkreter Gedanke.

SW: Konsumierst Du Medienbilder exzessiv? Die Medienrealität spiegelt sich ja schon stark in Deinem Werk wider.

DR: Also in dem neuen Werk spiegelt sie sich nicht mehr so wider. Aber klar, ich lese die Zeitung. Ich bin aber nicht der Typ, der Nachrichten im Internet konsumiert. Ich stehe auf Printmedien. Ich bin Buchleser. Ich glaube eigentlich nicht an die aktuelle Tagesmeldung.

SW: Welches Buch liest Du gerade?

DR: „Tragödie eines Volkes“ von Orlando Figes. Das ist eine Triologie über die Geschichte der Sowjetunion. Ein gutes Buch! Davor habe ich „Heldensuche“ von Michael Martens gelesen. Darin geht es darum, wie Bilder oder Mythen sich im Öffentlichen etablieren. Das passt zu dem Themenbereich, der mich interessiert.

SW: Faszinieren Dich Helden?

DR: Nein, das ist eher ein Interesse. Eine Mischung aus Beobachtung und etwas, dass man als Teenager kennt. Spiderman, Superman und dann der Körperkult des Westens, der mit der Hippiehaftigkeit des Ostens zusammenprallt, also was die Körperbilder angeht. Die Taliban sehen aus wie Hippies und der durchschnittliche Soldat des Westens sieht mittlerweile aus, als ob er sich ästhetisch an Spiderman oder Thor orientieren würde.

SW: Ist Deine Form der Ästhetisierung eurozentristisch und medial vermittelter Bilder ein Angriff gegen die Art der Meinungsbildung, wie sie im Westen gepflegt wird?

DR: Das ist eine interessante Frage. Ein Angriff würde ich nicht sagen, aber vielleicht eine Korrektur. Man könnte schon sagen, dass ich meine Bilder in Anschlag gegen die ideologischen Bilder der Öffentlichkeit bringe.

SW: Der Titel Deiner Ausstellung in der Kestnergesellschaft ist „10001nacht“. Der Ground Zero, der 11. September und der in der Folgezeit veränderte Orientalismus sollen da eine Rolle spielen – habe ich gelesen.

DR: Die reden alle ein Zeug! Das Bild verlässt das Atelier und schon stiftet es geistige Verwirrung. Man kann das sehen wie man will. Die Bilder werden da ja hängen. Es sind 19 verschiedene. Sie bilden einen Komplex, in dem Gebirge, Romantik, seismografische Bilder, Schatten, Weite und Ferne eine starke Rolle spielen. Formal liegt der Fokus auf dem Gegensatz von Weite und Ferne, dabei sind grell-bunte und sehr zurückhaltende, fast schwarzweiße Bilder. Gemeinsam haben sie, dass alles in diesen irrealen Gebirgslandschaften stattfindet, mit Tälern und Schluchten, Auf- und Untersichten.

SW: Setzen sich die Bilder mit einer neuen Spielart des Orientalismus auseinander?

DR: Da sind schon Sehnsuchtsprojektionen drin, ob das jetzt Nepal oder Tibet ist, der Hindukusch, die Savanne, die Oase, der Harem, der Verschleierte, der edle Wilde oder der unbeugsame Krieger mit Zottelbart ist. Oder auch der afghanische Teppich und das afghanische Opium. Das sind Sachen, in denen sich Popkultur, Märchen und Realität verzahnen. Die Hippiekultur ist eine komplette Adaption der Folklore des Maghreb und Arabiens. Die amerikanischen Hippies haben die indigenen Kulturen ästhetisch geplündert, die Europäer haben das mit der arabischen Kultur gemacht. Von der Kleidung und dem Drogenkonsum über Ornamente, Nasenringe und Henna bis hin zur Fetischisierung von allem, was so hängt, wie Teppiche oder Kaftane. All das hat ja schon die vergangenen 50 Jahre Ästhetik der Jugendkultur mitgeprägt.

SW: Im Gegensatz zu früher konzentrieren sich Deine aktuellen Arbeiten auf eine Handvoll Akteure in irrealen Landschaften. Keine Menschenmenge, keine Stadt. Macht sich da vielleicht eine Sehnsucht nach Ruhe bemerkbar?

DR: Nein, das ist keine Sehnsucht nach Ruhe. Das Malen als Akt, ob man jetzt Städte malt oder Tannenbäume, läuft immer gleich von der Hand, mit der gleichen Form von Konzentriertheit oder auch Unkonzentriertheit, unabhängig davon, was man malt.

SW: Wirst Du jetzt ganz zum Romantiker?

DR: Absolut nicht. Oder vielleicht doch? Ich bin total durcheinander.

SW: Deine neuen Bilder erwecken diesen Eindruck, zumindest bei mir.

DR: Dann ist das vielleicht bei allen anderen auch so. Und ich bin einfach der letzte, der es schnallt!

SW: Vieles läuft eben doch nicht so bewusst ab.

DR: Nicht zwangsläufig, aber ich bemühe mich zumindest, die Dinge bewusst ablaufen zu lassen. Ich fürchte, vieles hat mit der ureigenen Faszination des Malens zu tun und da geht es eben nicht um Ratio und Analyse, sondern um das Ungefähre und das, was einen selber antreibt, ohne dass man es begründen könnte. Romantiker. Hmmm, ich weiß nicht. Vielleicht? Da denke ich nicht drüber nach. Doch, jetzt schon!

Die Ausstellung „10001nacht“ ist vom 4. September bis zum 6. November 2011 in der Kestnergesellschaft in Hannover zu sehen.