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Romuald Karmakars Berliner Lektionen 02/2011, Traffic

Für sein Psychogramm »Der Totmacher« erhielt Romuald Karmakar den Deutschen Filmpreis. Sein dokumentarisches Porträt der Techno-Ikone Ricardo Villalobos lief bei den Filmfestspielen in Venedig. Mit den »Hamburger Lektionen«, für die Karmakar die so genannten Hasspredigten des Hamburger Imams Mohammed Fazazi übersetzen ließ und szenisch zusammenführte, verwirrte er das Publikum.. Karmakars Werk ist so vielseitig wie ungemütlich. Kurz vor der Berlinale sprachen wir mit ihm über die Identität des Deutschen Kinos.

SW: Bei der diesjährigen Berlinale bist du Vorsitzender der jungen Jury, die den Preis »Dialogue en perspective« in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino« verleiht. Der Jurypräsident soll für den filmischen Dialog zwischen Deutschland und Frankreich stehen.

RK: Ich habe einen französischen Pass, wurde aber in Deutschland geboren. Einer der letzten Regisseure, die das auch gemacht haben, war zum Beispiel Dominik Moll, ein französischer Filmemacher mit deutschen Wurzeln.

SW: Warum ist die Beziehung zwischen dem deutschen und dem französischen Film so wichtig?

RK: Frankreich ist ein sehr wichtiges Land für die Art von Filmen, die auch ich mache. Einige deutsche Filmemacher genießen dort eine größere Aufmerksamkeit als bei uns. Der letzte Film von Christoph Hochhäusler zum Beispiel, »Unter dir die Stadt«, wurde in Cannes gezeigt und lief in Frankreich schon im Kino.

SW: In deutschen Kinos werden wir ihn erst im April sehen. Schon Talente wie Rainer Werner Fassbinder oder Werner Herzog feierten in Frankreich größere Erfolge als in Deutschland. Wie kommt das?

RK: Bei den Franzosen gibt es richtige Hardcore-Cineasten, die jeden thailändischen Film kennen wollen. Film ist in der französischen Gesellschaft ganz anders verankert. Theater, Oper oder Literatur haben bei uns immer noch einen höheren Stellenwert … Film hat eher die Funktion, den Arbeitsalltag so ein bisschen bunter zu gestalten. Aber als ernstzunehmende Kunstform wird Film bei uns in der Breite nicht gepflegt. Paris ist die Kinohauptstadt dieser Welt, was die Rezeption der Filme angeht. Die Filme, die in Cannes laufen, finden immer auch den Weg ins Kino. So werden ganz unterschiedliche Formen der Kino-Narrative aus der ganzen Welt Teil eines Film-Diskurses. Das ist wichtig. Die Mehrheit der Leute reduziert sich sonst einfach auf das, was eingängig ist und nach einem bestimmten Muster funktioniert.

SW: Kann man überhaupt vom Deutschen Kino sprechen oder ist das ein viel zu heterogenes Feld?

RK: Ich denke, man kann das, obwohl es natürlich viele Kategorien gibt. Zum einen ist da das, was man international als »Berliner Schule« wahrnimmt. Das funktioniert wie eine Marke, mit der man sich im Ausland durchsetzen kann, ähnlich wie das Dogma-Prinzip aus Dänemark. Dann gibt es eine Kategorie, in die zum Beispiel die Filme von Fatih Akin gehören, und Produktionen des gerade verstorbenen Bernd Eichinger. Das sind die drei Ströme, mit denen man im Ausland das Deutsche Kino wahrnimmt. Alles, was dazwischen ist, existiert kaum.

SW: Der Anteil der Besucher deutscher Kinofilme hat vergangenes Jahr im Vergleich zu 2009 um die Hälfte abgenommen. Auch international sieht es nicht mehr so rosig aus. Vor einiger Zeit war das dank der Filme von Fatih Akin oder Florian Henckel von Donnersmark noch anders.

RK: Es gibt eben Wellen des Erfolges. Auch das Deutsche Kino funktioniert so. Filme wie »Good Bye Lenin«, »Lola rennt«, »Gegen die Wand« oder »Das Leben der Anderen« haben gezeigt, dass deutsches Arthouse-Kino auch im Ausland kommerziell erfolgreich sein kann. Gerade im Arthouse-Kino gibt es aber immer wieder diese Wellen. Mal sind es die Iraner, mal die Thailänder, mal die Argentinier, jetzt sind es vielleicht die Griechen, die letztes Jahr zwei erfolgreiche Filme in Venedig und Cannes hatten. Nach einem internationalen Erfolg steht es auch für die Folgeprojekte gut, vor allem was den Verleih angeht. Leute wie Angela Schanelec oder Christoph Hochhäusler finden zum Beispiel in Frankreich kontinuierlich Verleiher. Die Anschlussfähigkeit dieser Erfolge mit einer ganz eigenen Filmsprache funktioniert in Deutschland aber leider meistens nicht, das ist eben das Merkwürdige.

SW: International erfolgreiche deutsche Filme haben thematisch meistens etwas mit Vergangenheitsaufarbeitung zu tun, kreisen um Nazi-Deutschland oder die DDR. Muss sich das Deutsche Kino thematisch neu erfinden?

RK: Die Verarbeitung historischer Stoffe hat ganz klar etwas mit dem Fernsehen zu tun. Das Fernsehen greift gezielt historische Stichworte und Ereignisse heraus, um dazu Filme zu produzieren. Das schwappt dann auf das Kino über. Gerade in Bezug auf den Nationalsozialismus, ein Thema, an dem ich für das »Himmler Projekt« ja auch gearbeitet habe, ist einfach die Hemmschwelle gesunken. Die Leute trauen sich plötzlich, Themen anzupacken, weil sie in der Breite der Gesellschaft schon einmal durchdiskutiert wurden. Die Kinoproduktion hängt dem öffentlichen Diskurs immer ein paar Jahre hinterher.

SW: Auch Integration gehört mittlerweile zu den großen Themen des Deutschen Films.

Dieses Thema ist problematisch. Meine »Hamburger Lektionen«  von 2005 hatten zwar große Presseresonanz, aber überhaupt keine Zuschauerreaktion. Filmemacher, die letztendlich den öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs abbilden, tragen meist das in ihre Filme, was sich die Bundesregierung wünscht. So kommt es mir manchmal vor.

SW: Das hat sicherlich auch mit den Filmförderungen zu tun. Man hat schon den Eindruck, dass man wesentlich besser dasteht, wenn man sich mit einem Stoff bewirbt, der eher mit dem öffentlichen Diskurs konform geht.

RK: Ganz genau. Was im gesellschaftlichen Kontext opportun ist, ist auch einfacher durchzusetzen. Wenn die übergeordnete politische Stoßrichtung in einen Mainstream geht, dann fährt die Mehrzahl in dem Wasser mit.

SW: Und viele interessante Ästhetiken bleiben auf der Strecke.

RK: Klar, und Innovatives, Mutiges, Aufregendes und Ungewöhnliches. Wenn jemand aber mal etwas Mutiges macht, scheitert er. Man will in Deutschland das Außergewöhnliche, aber bitte mit gewöhnlichen Mitteln. Oder man weist es dem Ausland zu. Das Verrückte, das sind die Skandinavier. Das Esoterische, das sind die Asiaten.

SW: Dein Werk kann lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Du machst Spielfilme und Dokumentarfilme, Politisches und Experimentelles. Ich habe gerade auf deiner You Tube-Seite gestöbert. Da findet man zum Beispiel auch den »Esel mit Schnee – ein Stillleben von Romuald Karmakar«.

RK: Jede Geschichte braucht eine eigene Form. Wenn ich »Esel« mit einem Stillleben in einer einzigen Einstellung erzählen kann, dann ist es eben genau das. Wenn ich einen Spielfilm mache, einen Dokumentarfilm wie »Warheads« oder etwas wie die »Hamburger Lektionen«, ist die Aufgabenstellung jedes Mal anders. Ich denke, dass es für einen Künstler wichtig ist, jede narrative Form auszuprobieren und sich zwischen konventionellen und auch experimentellen Strukturen zu bewegen.

SW: Auf deiner You Tube-Seite sieht man, dass du Spaß daran hast, Menschen mit der Kamera zu überraschen, Statements von Filmemachern und anderen Stoff einzufangen. Du scheinst an einem neuen Projekt zu arbeiten …

RK: Na ja, ich habe vor über einem Jahr angefangen, das ganze Material, dass ich seit den 90ern so angesammelt habe, zu digitalisieren. Dazu gehören Aufnahmen von der Beerdigung Johannes Paul II. in Rom genauso wie Club-Aufnahmen oder Sachen, die bei anderen Filmproduktionen nebenbei rausgekommen sind. Vielleicht mache ich daraus ja irgendwann mal eine Art gefilmte Biografie.