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Poitras auf Sofa 09/2015, TAZ

Jacob Appelbaum ist ein Berliner, schon seit drei Jahren. Weil der Journalist, Programmierer und Unterstützer der Enthüllungsplattform WikiLeaks Praktiken des US-Geheimdienstes NSA offenlegte, lebt er hier im Exil. In seiner Heimat, den USA, drohen Aktivisten wie ihm hohe Haftstrafen. Spionageverdacht – das kann auch die Todesstrafe bedeuten. In Berlin hat Appelbaum jetzt seine erste Einzelausstellung, er zeigt großformatige fotografische Porträts, die er von seinen Freunden gemacht hat. Da ist er mal nicht Netzaktivist, sondern Künstler. Na ja, eher beides.

Anfangs habe er gar nicht daran gedacht, die Bilder mal auszustellen, sagt Appelbaum. Er habe sie für sich und seine Freunde gemacht, analog schon deswegen, weil sich diese Bilder der digitalen Ausspähmaschinerie entziehen. In dunkles Rot, Gelb und Grün sind die Porträtierten und ihre Umgebung getaucht, Appelbaum hat dafür kein herkömmliches Filmmaterial benutzt, sondern welches, das früher zum Beispiel das Militär einsetzte, um bei der Luftüberwachung getarnte Objekte aufzuspüren. Es suggeriert: Das Privatleben dieser von der US-Regierung rund um die Uhr überwachten Menschen ist vollkommen durchleuchtet.

In liebevoller Umarmung stehen der US-amerikanische Journalist Glenn Greenwald und sein Partner David Miranda im Wald. Greenwald hatte als erster über die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowdon zu den Überwachungspraktiken der NSA berichtet. Laura Poitras liegt auf einem Sofa in ihrer Berliner Wohnung und lächelt in Appelbaums Kamera. Als „Citizenfour“ hatte Snowdon sie kontaktiert, sie drehte den gleichnamigen Dokumentarfilm. Sarah Harrison sitzt in einem Park, die britische Journalistin und WikiLeaks-Mitarbeiterin hat Snowdon auf seinem Flug nach Moskau begleitet, wo er heute noch ausharrt, um einer Auslieferung zu entgehen. WikiLeaks-Initiator Julian Assange steht vor einem kahlen Baum und schaut stoisch in die Ferne. Auch William Binney steht draußen, allerdings auf Prothesen: Der an Diabetes erkrankte ehemalige technische Direktor der NSA hat beide Beine verloren, auch wegen des massiven Drucks, den das FBI auf ihn ausübte. Aus Protest gegen die Datensammelpraxis hatte er zuvor seinen Job bei der NSA gekündigt, Vorträge gehalten und Interviews gegeben.

Und dann sitzt da noch ein Plüschpanda in der Galerie. Appelbaum und der chinesische Künstler Ai Weiwei haben mehrere davon mit geschredderten Geheimdokumenten der NSA ausgestopft und anschließend aus Peking geschmuggelt. Laura Poitras hat das Projekt dokumentiert. In diesem Film liest Appelbaum Passagen aus den Dokumenten vor, bevor Ai Weiwei sie in den Schredder schiebt. Mittlerweile lebt auch er in Berlin, nachdem er lange in China festgehalten und massiv überwacht wurde. Noch in Peking hatte Appelbaum ihn fotografiert, in einem Garten und von üppigen Pflanzen umgeben, jetzt hängt sein Infrarot-Porträt neben denen von Poitras, Assenge, Harrison, Binney und Greenwald.

Erst dieses Jahr hat der Netzkünstler und Kurator Luca Barbeni die Galerie Nome in Berlin eröffnet, um kritische Kunst zu zeigen, die sich mit Datentransparenz und Überwachung auseinandersetzt. Er eröffnete mit auf Leinwand gesprühten Porträts von hochrangigen US-Geheimdienstmitarbeitern, Arbeiten des Künstlers Paolo Cirio. Dann kam James Bridle mit abstrakten Visualisierungen zensierter Dokumente, etwa eines Senatsberichts über das Folterprogramm der CIA. Wie Appelbaum stieg auch der Computerspezialist und Journalist quer in die Kunst ein.

Ein wenig erschlägt die politische Botschaft, vielleicht gerade weil sie schon viel rezipiert wurde und jetzt noch mal durch einen neuen Kanal gejagt wird. Aber das ist Konzept. Er fände es wichtig, die Diskussion in die Kunst zu verlagern, sagt Appelbaum, auch weil es ständig Versuche gebe, die Presse mundtot zu machen. In der Szene waren sich Netz- und Softwarekünstler, Computerexperten und Hacktivisten schon immer nah. Neu ist nur, dass es gerade nicht Softwarekunst ist, was bei Nome zu sehen ist. So etwas erfahre einfach noch immer wenig Aufmerksamkeit, sagt Barbeni, mit Bildern, die man sich an die Wand hängen könne, fänden die Themen auch mehr Beachtung in der Kunstwelt.

Vielleicht wäre es aber gerade interessant gewesen, hätte der Programmierer Applebaum digitale Kunst gemacht. Das von ihm entwickelte Netzwerk „Tor“ etwa, das Verbindungsdaten anonymisiert und es Nutzern ermöglicht, unüberwacht zu surfen, könnte man durchaus auch als Kunstwerk verstehen. Aber Fotografie und Pandabären sind massentauglicher, und darum geht es Appelbaum: möglichst viele Menschen zu erreichen.

„Samizdata: Evidence of Conspiracy“, Galerie Nome, bis 31.10.