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Freude am Bild kaufen 08/2013, Zeit Online

Zwischen Rekord-Auktionsergebnissen und Discountgeschäften blüht der Markt für Fotokunst auf. Künstler könnten davon profitieren.

2011 versteigerte das Auktionshaus Christie’s in New York Andreas Gurskys Rhein II für 4,3 Millionen US-Dollar. Es war der höchste Preis, der jemals für ein Foto gezahlt wurde. Die Summe markierte eine Zeitenwende: Fotografie war in einem Marktangekommen, der lange Zeit von der Malerei dominiert wurde. Gemälde erzielen beim Verkauf in Galerien oder Ateliers und bei Auktionen zwar noch wesentlich höhere Summen. Doch die Preise für Fotoarbeiten steigen, und wer heute ein Bild eines jungen Fotografen kauft, könnte bald ein gefragtes Kunstwerk im Wohnzimmer hängen haben.

Fotografie ist nach der Einschätzung deutscher Galeristen die ökonomisch drittwichtigste Kunstgattung nach Malerei und Skulptur. In Berlin, wo rund 400 Galerien zu Hause sind, sehen die Kunsthändler sie sogar an zweiter Stelle. Eine Umfrage des Instituts für Strategieentwicklung (IFSE) im April bestätigt den wirtschaftlichen Erfolgskurs. Und mit den Vermarktungsmöglichkeiten im Internet wird eine neue Klientel angesprochen, die für Kunst brennt, Geld hat und abseits traditioneller Strukturen in den Kunstmarkt einsteigen möchte. Auf diese Menschen setzt Daniela Hinrichs. Im April gründete die Sammlerin und Xing-Mitgründerin die Plattform DEAR Photography. Dort bietet sie Werke von zehn deutschen Fotokünstlern an, angewandte Arbeiten von Modefotografen wie Kristian Schuller oder Armin Morbach, aber auch freie künstlerische Arbeiten, zum Beispiel von Pepa Hristova oder Julian Röder. Der Modefotograf F.C. Gundlach, der Hinrichs Sammelleidenschaft entfacht hatte, berät sie bei der Auswahl der Künstler und ist auch selbst im Portfolio vertreten.

Kleine Auflagen mit drei bis sieben Abzügen garantieren die Exklusivität der Werke, mit Preisen ab 1.300 Euro sind sie auch für Einsteiger interessant. Das teuerste Bild kostet 22.500 Euro. Sie kenne viele Leute, die noch nie Kunst gekauft hätten und sie um Rat bäten, dann aber gleich 20.000 Euro ausgäben, erzählt Hinrichs. Ihre Künstler nimmt sie unter die Fittiche, macht Öffentlichkeitsarbeit für sie und beteiligt sie mit 70 Prozent am Gewinn. In den meisten Galerien bekommen Künstler rund 50 Prozent.

Hinrichs versteht sich nicht als Investorin, sondern als Kunstliebhaberin. Die Sammler, mit denen sie zu tun habe, seien ebenfalls nicht vorrangig an Wertsteigerung interessiert. „Der Return on Investment ist die Freude am Bild“, sagt Hinrichs. Dass sie jetzt selbst mit Kunst handle, läge vor allem an dem Wunsch, Künstlern bei der Vermarktung zu helfen. Als Sammlerin habe sie in persönlichen Gesprächen immer wieder von den großen wirtschaftlichen Problemen der Künstler erfahren.

Das durchschnittliche Jahreseinkommen bildender Künstler in Deutschland lag 2012 bei knapp über 14.000 Euro, unter 30-Jährige verdienen gerade mal 11.500 Euro. Vom Verkauf ihrer Werke können nur die wenigsten leben. Der Rest ist auf Stipendien und Nebenjobs angewiesen, manche machen Auftragsarbeiten für Magazine und die Werbebranche.

Tobias Zielony prophezeite man in der Kunsthochschule, er werde seine Fotografien nur schwer verkaufen können. In seinen Foto- und Videoarbeiten porträtiert er junge Menschen, die in widrigen Umständen leben. Seine Werkserie Jenny Jenny etwa, die gerade in der Berlinischen Galerie zu sehen ist, zeigt Frauen, die sich prostituieren. Er entschied sich trotzdem für die Kunst und gegen die Auftragsfotografie. Heute vertritt ihn die Berliner Galerie KOW. Seine Bilder werden in Auflagen von sechs Stück verkauft und kosten zwischen 5.000 und 12.000 Euro.

Manche Käufer bleiben anonym, andere kennt Zielony persönlich. Sie seien ihm wichtig, sagt er, weil sie Interesse an seiner Laufbahn und seinen Themen hätten und sein Werk in einem größeren Kontext widerspiegelten. Im Internet zu verkaufen, könne er sich derzeit nicht vorstellen, auch wenn die Fotografie im Netz besser darstellbar sei als andere Kunstformen.

Pepa Hristova hat sich dafür entschieden, ihre Fotografien im Netz anzubieten. Bei DEAR Photography findet man zum Beispiel Bilder ihrer Serie Sworn Virgins, für die sie nordalbanische Frauen porträtierte, die Männerkleidung tragen und auf ein Sexualleben verzichten, damit sie im Todesfall ein männliches Familienoberhaupt ersetzen dürfen. Am Kunstmarkt zu bestehen, sei wahnsinnig schwierig, sagt Hristova. „Man muss beständig sein, Gelder auftun, sich managen, präsent sein und jede Menge Zeit in Projekte investieren.“

Hristova ist mit der Kamera auch für die Fotoagentur Ostkreuz unterwegs. Wirtschaftlich habe die Kombination für sie immer gut funktioniert. Wenn sie gerade keine Kunst verkauft habe, kam ein Auftrag. Dass Künstler Auftragsarbeiten machen, ist aber nicht selbstverständlich. Zumindest in Deutschland werde das noch argwöhnisch betrachtet, sagt Tobias Zielony. Fotografen in den USA hätten das schon immer verbunden. Ein Beispiel sei Philip-Lorca diCorcia: „Er macht Kunst und Werbefotos und niemand denkt, das ginge nicht.“

Eine passende Galerie hat Hristova noch nicht gefunden. Es komme ihr auf die persönliche Zusammenarbeit an, sagt sie. Bei Lumas würde sie so viel Aufmerksamkeit wahrscheinlich nicht erfahren, dafür aber jede Menge Abzüge verkaufen. Vor zehn Jahren fingen die Sammler Stefanie Harig und Marc Ullrich an, Prints günstig zu verkaufen. Möglich machen das bis heute hohe Auflagen: 75, 150 oder auch unendlich mal werden die Fotos abgezogen. Manche sind schon für unter 100 Euro zu haben.

Die Umsätze steigen seit Jahren, 2012 erwirtschaftete Lumas nach eigenen Angaben 16,7 Millionen Euro, ein Drittel davon wurde mit dem Onlinehandel erzielt. Rund 160 Künstler sind heute dort unter Vertrag. Wie viel diese verdienen, will Lumas nicht verraten. Man könne die Fotografen nicht mit den üblichen 50 Prozent beteiligen, sagt Pressesprecher Jan Seewald, denn es hinge ein viel größerer Apparat an dem Unternehmen als an traditionellen Galerien. Damit sorge man unter anderem für die Bekanntmachung der Künstler.

Die Auflagenzahl ist ein sensibles Thema auf dem Fotografiemarkt. Erst die Limitierung der Abzüge ermöglichte es dem technisch reproduzierbaren Medium, mit anderen Kunstformen zu konkurrieren. An sich ist das Prinzip Edition – Kunstwerke, die es mehr als einmal gibt und die dadurch günstiger zu haben sind – nichts Ungewöhnliches, sondern im Kunsthandel schon seit den sechziger Jahren üblich.

Damals waren etwa handsignierte Drucke von Gerhard Richter plötzlich für einen Bruchteil des Preises zu haben, den man für ein Unikat hätte hinlegen müssen.

Viele Kunstvereine und Magazine finanzieren sich über den Verkauf von signierten und nummerierten Editionen in höheren Auflagen. Auch im Fotografiemarkt lohnt es sich, nach solchen Editionen Ausschau zu halten. Beim Berliner Onlinemagazin Index kann man einen von 25 Prints einer Edition von Tobias Zielony schon für 550 Euro kaufen.

Wichtiger als der Umsatz ist vielen Künstlern der Kontext, in dem sie sich präsentieren. „Kunst funktioniert als Teil eines größeren Diskurses“, sagt Zielony. Bei Lumas fehle ihm die Auseinandersetzung. Ungünstig ist es für Künstler auch, wenn ihre Werke für immer in den Wohnzimmern der Käufer verschwinden. Sammler übernehmen Verantwortung: Sie müssen Werke pflegen und sie eventuell auch an Ausstellungen und Museen verleihen.

Von Gurskys Rhein II kursieren sechs Abzüge in verschiedenen Größen. Zu den Besitzern zählen die Tate Modern in London, das Museum of Modern Art in New York und die Pinakothek der Moderne in Munchen. Den Abzug, der Auktionsgeschichte schrieb, hatte ein anonymer Sammler zuvor bei einer Kölner Galerie erworben und ihn dann mit Gewinn versteigern lassen. Mit Liebhaberei hatte das weniger zu tun. Vielmehr mit knallharter Spekulation.