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Forschende Künstler 01/2015, TAZ

An der Spree entsteht mit „Satellite Berlin“ eine Plattform für den Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft

Beim Traum vom Fliegen kamen sich die Wissenschaften und die Künste früh sehr nah. Griechische Dichter wie Homer oder Ovid ließen Daidalos und Ikarus mit selbst gebauten Flügeln in den Himmel aufsteigen. Leonardo da Vinci malte nicht nur die Mona Lisa, sondern konstruierte auch Maschinen und nahm mit seiner „Luftschraube“ Prinzipien des Hubschraubers vorweg. In der Fantasie ging schon lange, was schließlich technisch möglich wurde.

Auch heute forschen Künstler. Manchmal machen sie Wissen greifbarer. Oft spielen dabei die Sinne eine Rolle, immer die Fantasie. Olafur Eliasson etwa lässt sich von physikalischen Phänomenen zu Installationen inspirieren, mit denen er das Sehen von Farben oder die Erdanziehungskraft untersucht. Manchmal findet die Liaison von Kunst und Wissenschaft auch im großen Stil statt. Die Europäische Organisation für Kernforschung „Cern“, die in der Schweiz den leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt betreibt, lädt Künstler regelmäßig zu Forschungsaufenthalten ein.

An der Spree tauschen sich Künstler und Wissenschaftler künftig auf einer eigens dafür ins Leben gerufenen Plattform aus. „Satellite Berlin“ liegt zwischen Tipi-Dorf und noch im Bau befindlichen Luxuslofts, am Wasser, gleich hinter dem Deutschen Architektur-Zentrum (DAZ). Auf der gegenüberliegenden Seite erstreckt sich der Holzmarkt, ein Gelände, auf dem neben einem Club noch Gastronomie und Gewerbe angesiedelt werden sollen. Durch die Häusergerippe hallen Baugeräusche. Doch man kann sich schon vorstellen, dass es hier mal schick wird.

In den gerade fertig gewordenen, auf zwei kleine Etagen verteilten Räumen bringen die Gründerinnen Kit Schulte und Rebeccah Blum Partner aus verschiedenen Feldern zusammen. Denkbar sei Astrophysik genauso wie Philosophie oder Linguistik, sagen sie. Ein Modul des Programms wird sich sprachbasierter Kunst widmen, sie soll in Lesungen, Performances oder Installationen präsentiert werden. In der oberen Etage richten Schulte und Blum ein Archiv mit Zeichnungen ein. Ob Kunst oder Wissenschaft, am Anfang stehe immer die Idee, sagen sie. Und diese manifestiere sich häufig zuerst auf Papier. So wie Leonardo da Vincis Flugschraube.

Kit Schulte betrieb zuvor Galerien in San Francisco und Berlin. Auch die US-Amerikanerin Rebbecah Blum leitete lange Zeit eine Galerie in Berlin. Satellite Berlin ist ein Hybrid aus Förderverein und kommerzieller Galerie, neben dem Verkauf von Werken sollen Mitgliedschaften und Gelder aus Stiftungen und Kulturfonds die Finanzierung der Projekte sichern. Mit dem Traum vom Fliegen beschäftigt sich die erste Ausstellung.

Für ihr Projekt „InAppropriate Behaviors“ führte die Künstlerin Joanne Grüne-Yanoff über ein halbes Jahr hinweg einen Dialog mit Dr. Konstantinos Katsikopoulos. Am Zentrum für Adaptives Verhalten und Kognition des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung setzt er sich zum Beispiel damit auseinander, wie Menschen Entscheidungen treffen. Seiner empirischen Forschung stellt Grüne-Yanoff die Fantasie gegenüber: Ausgangspunkt für den in Briefen, Zeichnungen und Collagen dokumentierten Austausch ist die Videoarbeit „Butterfly Spine“: Ein massiger Mann, auf dessen Rücken mehrere kleine, an Schmetterlinge erinnernde Flügelpaare angebracht sind, setzt darin in tänzerischen Bewegungen immer wieder zum Fliegen an.

Im März eröffnet die zweite Schau mit Arbeiten des Künstlers Owen Schuh. Wissenschaftspartner ist der Mathematiker Prof. Satyan L. Devadoss. Schuh brach einst sein Mathematik-Studium ab, um sich der Kunst zu widmen. Dann begann er, Formeln und Diagramme zu visualisieren. Der kreative Prozess finde aber auf beiden Seiten statt, sagt Blum, in dem Dialog zwischen den beiden entstünden nicht nur künstlerische Arbeiten, sondern auch neue mathematische Formeln.

Devadoss soll dann einen Origami-Workshop geben, um den Teilnehmern mithilfe der Papierfaltkunst mathematische Denkprozesse zu vermitteln. Schulte und Blum wollen ein Bildungsprogramm für Erwachsene und Kinder auf die Beine stellen, mit solchen Workshops, Künstlergesprächen und anderen Veranstaltungen. Auf dem Gelände an der Spree stehen ihnen dafür ein Bootshaus, ein Wintergarten und eine Experimentalküche zur Verfügung. Diese Flächen teilen sie sich mit anderen Mietern.

Im Mai zeigt Satellite Berlin dann Landschaften von Michael Wutz, eigentlich ein klassisches Genre, doch Wutz kommt auf Papier zu besonderen Kompositionen, indem er sich von historischen Wissenschaftsillustrationen, der Archäologie oder der Kulturgeschichte inspirieren lässt.

Kunst und Wissenschaft werden sich in diesen Räumen an der Spree sehr nahe kommen. Sie wolle die Disziplinen koppeln, um das Wesen des Menschen zu erforschen, schreibt Grüne-Yanoff an den Wissenschaftler, und schlägt Fragen an den Mann aus ihrem Video vor, zum Beispiel ob er sich anders fühle, nachdem er drei Minuten einen Vogel oder Schmetterling im Flug nachgeahmt habe, und ob dieses Verhalten ihm innere Stärke vermittelt habe. „Lustig,“ antwortet Katsikopoulos, „Sie klingen schon wie eine Verhaltensforscherin“.

InAppropriate Behaviors, Joanne Grüne-Yanoff und Dr. Konstantinos Katsikopoulos, Satellite Berlin, 31.1. bis 7.3., Wilhelmine-Gemberg-Weg 12, 10179 Berlin

Der zweite Teil der Ausstellung wird im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung präsentiert, 29.1. bis 7.3., Lentzeallee 94, 14195 Berlin