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Die Bilderbücher des Films von Hitchcock bis Spielberg 04/2011, Zeit Online

Ohne Storyboards funktioniert kaum ein Film. Nun holt erstmals eine Ausstellung die gezeichneten Szenenbilder aus dem Schatten der Leinwand.

Totale. Kinder rennen aus der Schule heraus und eine Straße hinab. Hinter ihnen erhebt sich ein gigantischer Schwarm schwarzer Krähen. Halbtotale. Die Vögel stürzen herab auf die schreienden Kinder, landen auf ihren Schultern und hacken auf sie ein. Alfred Hitchcock hatte die berühmte Szene aus Die Vögel akribisch geplant, um sicher zu gehen, dass am Set mit Crew und Zeitdruck alles gelang. Sein wichtigstes Mittel dafür war das Storyboard: Die Zeichnungen von Harold Michelson gaben jede Kopfbewegung, jede Einstellungsgröße, sogar Mimik und Gestik der Schauspieler und die drückende Atmosphäre des Psychothrillers exakt vor. Die präzise Visualisierung sparte Kosten beim Dreh und erleichterte die Umsetzung der Spezialeffekte. Nicht jeder Regisseur legte den gleichen Perfektionismus an den Tag. Zu den Werken des exzentrischen FilmemachersFrançois Truffaut zum Beispiel entstanden nur wenige Storyboards. Er wollte so viel wie möglich dem Zufall überlassen.

Viele Zeichnungen haben bisher in Archiven geschlummert, jetzt präsentiert dieKunsthalle Emden sie Seite an Seite mit ihren filmischen Originalsequenzen. Die gemeinsam mit der Deutschen Kinemathek kuratierte Ausstellung Zwischen Film und Kunst – Storyboards von Hitchcock bis Spielberg spaziert mit 17 Storyboard-Kapiteln zu bahnbrechenden Werken von Cineasten wie Fritz Lang oder Wim Wenders und Höhepunkten des Hollywood-Kinos wie Vom Winde verweht , Apocalypse Now oder Matrix durch 80 Jahre Filmgeschichte. Die Exponate sind Leihgaben aus Deutschland, Frankreich, England und diversen Archiven der USA. Eine Zeichnung zu Taxi Driver stammt aus dem Privatarchiv von Martin Scorsese – er hat sie selbst angefertigt.

Für die Filmkunst haben Storyboards eine herausragende Bedeutung. Sie liefern Informationen zu Licht, Set Design, Kameraeinstellungen und Bewegungsabläufen, sind in Abfolgen nach Szenen und Sequenzen sortiert und strukturieren den Schnitt wie Grammatik eine Sprache.

Die Ursprünge des Storyboards liegen in den Disney Studios. In den dreißiger Jahren pinnte Walt Disney zusammen mit seinem Kreativteam erstmals Einzelzeichnungen an eine Korktafel und plante so die Sequenzen für seine Zeichentrickfilme. Spätestens seit dem Erfolg des ersten abendfüllenden Animationsfilms der Studios, Schneewittchen und die sieben Zwerge von 1937, war das professionelle Storyboard etabliert. Heute ist die Vorab-Visualisierung angesichts großer Budgets und aufwendiger Spezialeffekte wichtiger als je zuvor.

Die stilistische Vielfalt der Storyboards ist groß und reicht von Aquarell- oder Kreidearbeiten über Illustrationen mit Filz- oder Buntstiften bis hin zu modernen, teilweise animierten Computergrafiken. „Farbgebung und Zeichenstil der Storyboards lassen sich meist eindeutig einem bestimmten Jahrzehnt zuordnen“, sagt Katharina Henkel, wissenschaftliche Leiterin der KunsthalleEmden und neben Kristina Jaspers und Peter Mänz von der Deutschen Kinemathek Teil des dreiköpfigen Kuratorenteams. „Viele der Illustratoren arbeiten heute mit CAD, einer Software, die auch Architekten benutzen. Doch die Handzeichnung ist nach wie vor wichtig.“

Storyboard-Artists sind hybride Wesen, die sich fernab von „L’art pour l’art“ und Gebrauchsgrafik bewegen. Kunst oder nicht Kunst? Die Ausstellung bietet Antworten, indem sie den Storyboards neben den filmischen Sequenzen auch Werke von bildenden Künstlern wie Max Ernst oder Lucio Fontana gegenüberstellt. „In der Regel sind Storyboard-Artists akademisch ausgebildete Zeichner, die sich intensiv mit Kunst beschäftigt haben. Das fließt unbewusst in ihre Arbeit mit ein. Um das zu zeigen, haben wir verschiedene Werke in die Schau integriert.“

Die bildende Kunst inspirierte viele Storyboards, der Film wiederum hinterließ Spuren in der bildenden Kunst. Er prägte die Moderne und die Postmoderne wie kein anderes Medium und beeinflusste Farbigkeit, Perspektive und Räumlichkeit in den Werken vieler Künstler. Auch das zeigt die Schau, unter anderem mit den vom Film Noir inspirierten Kohlestift-Zeichnungen des Niederländers Marcel Van Eeden.

Das Zusammenspiel von bildender Kunst, Storyboard und Film hat sich wohl am deutlichsten in der Traumsequenz in Hitchcocks Ich kämpfe um dich aus dem Jahr 1945 manifestiert. Das Storyboard entstand nach Entwürfen von Salvador Dalí. Es enthält die fließenden Formen aus den Gemälden des Surrealisten und bekannte Motive wie das zerschnittene Auge aus dem gemeinsam mit Luis Buñuel gedrehten Experimentalfilm Ein andalusischer Hund . Der Stil des spanischen Künstlers fand auch Eingang in die Kulissen des Films: Gregory Peckrennt durch einzelne Einstellungen wie durch ein Gemälde Dalís.

Bisher verschwanden Storyboards meist in der Schublade, nachdem ihre Aufgabe erfüllt war. Die Emdener Ausstellung zeigt nun erstmals, dass viele von ihnen selbst Kunstwerke sind.

Die Ausstellung „Zwischen Film und Kunst – Storyboards von Hitchcock bis Spielberg“ ist vom 16.4. bis 17.07.2011 in der Kunsthalle Emden zu sehen